Die Sammlung der Träume


Begegnung in der Bucht

Als die sanften Melodien in weiter Ferne verhallten und ihm stattdessen der Wind durch die Haare fuhr, er das Rauschen des Meeres hören und die salzige Brise schmecken konnte, wusste Cedric, was ihn erwarten würde.

Nein. Nicht schon wieder.

Doch war er zu müde, um sich dem Unausweichlichen aufzubegehren. Mittlerweile kannte er diese Art von Träumen einfach schon zu gut. Sie waren so sehr in ihm verankert, als würden sie geradezu einen Teil seiner Identität ausmachen. Doch manche Dinge konnte man nicht ändern, manchen Dingen kam man nicht aus.

Cedric seufzte nur, die Furcht wie ein undurchdringlicher, dicker Knoten in seiner Brust. Langsam setzte er sich in Bewegung, die Straße zum Strand entlang, die Hände in den Jackentaschen vergraben. Der Himmel über dem Ozean verdunkelte sich, als dicke Sturmwolken aufzogen.

Hin und wieder überlegte er, den Weg einfach nicht einzuschlagen. Umzudrehen, zurück in die Stadt, ganz einfach woanders hin. Er hatte es auch schon oft versucht. Es hatte nichts gebracht. Er war doch immer wieder in dieser Bucht gelandet, ganz gleich wohin er gedacht hatte zu gehen.

Gerade existierte kein anderer Ort, daher gab es auch keinen Ausweg.

Nur den einen. Er wusste, wie es enden würde. Das machte es jedoch nicht einfacher. Im Gegenteil hatte Cedric das Gefühl, das mit jedem Aufwachen aus einem Albtraum ein Stück weniger von ihm zurück kehrte. Heute mochte es nur eine Erinnerung sein, die sich wiederholte, weil er sie nie wirklich überwunden hatte.



In der Turmgalerie

Cedric wachte auf. Er kannte die Umgebung nicht, alles war fremd, leer, öde. Genug Anzeichen die darauf hinwiesen, dass es sich hierbei nicht um die Wirklichkeit handelte. Doch die Luft schnitt eisig kalt, der Wind pfiff ihm um die Ohren, er bekam eine Gänsehaut. Wie konnte er sich also sicher sein, wenn er sich doch gleichermaßen bis gerade eben in einem Albtraum befunden hatte? 

Eine Wolke bildete sich in der frostigen Luft, als er ausatmete. Doch kein Schnee war zu sehen, keine Flocken, die vom Himmel tanzten. Diesmal nicht. Stattdessen glich die Erde trockenem Wüstenboden, nichts das nährte, nichts das gedeihte – ein Nichts, wie es auch ihn selbst erfüllte. Der Mantel der Welt war wolkenverhangen – es kam ihm bekannt vor – und es dauerte nicht allzu lange, ehe sich der Regen in dicken, harten Tropfen ihren Weg gen Boden suchte. Schon bald folgte der Blitz mitsamt dem Donner, der die Ruhe einforderte. Ein Gewitter kam und es war nicht weit weg. Cedric brauchte einen Unterschlupf.


Schneefall

Das Erste, das Cedric bemerkte war, dass es kalt war.

Das Zweite, dass dies nicht möglich sein konnte.

Cedric öffnete die Augen. 

Mit seinen Armen umklammerte er seinen Körper. Bei der Bewegung fiel ein wenig Schnee von seinem Haupt gen Boden. Sein Hemd war kurzärmlig. Kein Wunder war ihm kalt.

 

Wie kam es also, dass er das nicht glauben konnte? Er schob den Gedanken beiseite. Wichtig war es erst einmal hier herauszukommen. Wo auch immer »hier« genau sein mochte. Cedric setzte einen Fuß vor den anderen. Es gab keinen Weg, keine Richtung, kein Ziel. Nur diese bittere Kälte, die ihn langsam lähmte. Und ein Samen der Furcht, der verlauten ließ, dass er hier erfrieren würde, wenn er scheiterte.



Strayed

Kälte. Stille. Der frühe Abend verspricht eine helle Vollmondnacht, sofern die Wolken des Vortages sich nicht vor die leuchtende Scheibe schieben. Der Mann im Mond, eine fabelhafte Erzählung, mysteriöse Wesen – nicht in dieser Welt. Realität, so nennt man sie, wobei das was vor mir lag alles andere als real wirkt. Die Gassen sind klein und beengt, liegen in dunklen Schatten, da die Straßenlaternen nur noch flackernde Lichter in die entfernten Nischen werfen. Ein schauriges Bild. Schön? Halt, nein, nicht im Geringsten. Was tue ich hier? Habe ich es wirklich vergessen? Ist das… „Riverport?“ 

 

Feast of Friends

Als Cedric die Augen öffnete, blickte er auf einen Teller. Das Gericht auf dem Teller war wunderbar angerichtet. Eine Foie Gras au Torchon an Weinsauce mit getrockneten und frischen Feigen. Ihm drehte sich der Magen um. Essen würde er sicher nichts.

Unappetitliche Gedanken?, schoss ihm die Frage durch den Kopf. Da ertönte eine Stimme.

Du meidest Augenkontakt?“

Cedric sah von seinem Teller auf – und erstarrte. Er saß an einem langem Esstisch – ein Ausmaß, wie ihn nur eine Villa beherbergen konnte – und an der Spitze ihm gegenüber saß: er selbst. 

 

 



Genderbend

Cedric wachte auf, hielt die Augen jedoch weiterhin fest geschlossen.

Es war zu früh um aufzustehen, murrte seine innere Stimme, aber das war es ja immer. Dabei gehörte der Junge eigentlich nicht zu den Langschläfern und Morgenmuffeln der Familie. Etwas irritierte ihn.

Es kennt sicherlich jeder das Gefühl, etwas am Tag stimmt nicht, bevor man sich überhaupt aufgesetzt hatte. Genausi erging es Cedric gerade im Moment, weswegen er die Augen schließlich aufschlug, in er vagen Hoffnung allein dies würde ausreichen um dieses lästige Gefühl zu verscheuchen. Tat es leider nicht.

Vorsichtig löste er sich von Ran, die neben ihm noch leise vor sich hinschlummerte, dicht in ihre Decke eingehüllt und stand auf. Ein Blick in den Spiegel erklärte all seine angenommenen Unanehmlichkeiten.

Ein entsetztes Gesicht sah ihn an.

Das entsetzte Gesicht einer Frau.

Eiswind 5/8

Leise fiel die Tür der UnzumutBar hinter ihm zu.

Endlich.

Stille.

Cedric zog den Schal enger um sich, sein Atem hing klirrend in der kalten Luft. Es war tiefster Winter in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, in dem sich die meisten Menschen ein wenig Ruhe gönnten. Oder eben wie sonst Feiern gingen, die Bar schien einen neuen Besucherrekord anzustreben. Lärm, Enge und Alkoholgeruch – kein Wunder das er es nicht lange dort ausgehalten hatte. Was hatte ihn nochmal dazu bewegt hierherzukommen? Achja stimmt, soziale Kontakte. Aber diese schienen nur halb so bedeutungsvoll zu sein, wenn die wichtigste Person im Kreis fehlte: seine Freundin, Ran, die nicht mit nach Riverport gezogen war. Der Gedanke daran ließ sein Herz schwer werden. Der Junge überlegte kurz, welche Richtung er einschlagen sollte, setzte sich dann in Bewegung. Das Ziel war unwichtig.

Still Alive

Der Klang verschiedener Stimmen war vernehmbar, schaffte es jedoch nicht sich in Form von Worten oder Lauten zu manifestieren. Nichtmal erkennen konnte Ced diese, zumindest eine bekannte, vertraute Stimme, die um ihn weinte ohne das er auch nur das Geringste davon ahnte. Doch eine Ahnung hatte er, irgendwie, auf eine skurrile Art und Weise, während er im Regen, im Dreck, im Blute lag, ohne den Grund zu kennen. Konnten die Stimmen nicht etwas fröhlicher klingen? Der traurige Ton verbitterte sein Herz und er wünschte sich, handeln, dagegen handeln zu können oder zumindest den Inhalt ihrer Worte zu Verstehen, um nachempfinden zu können, was in den Personen vorging, warum sie so fühlten. Warum nur war es so kompliziert?

Geteiltes Leid war halbes Leid – 



Cedric in Wonderland

 

Alice! Wo bist du nur… Alice?

Cedric blinzelte.

Es wurde langsam Sommer. Heute war der erste heiße Tag des Jahres und Cedric Evans hatte sich mit seinem Geschichtsbuch unter einen Lindenbaum gesetzt um zu lernen. Ganz offensichtlich war er dabei eingeschlafen, denn die Sonne stand mittlerweile tief im Zenit und auch die Temperatur war merklich gesunken. Als er aufwachte, blickte er in ein Gesicht, gleich dem seinen: Simon hatte sich grinsend über ihn gebeugt. »Morgen Siebenschläfer!« Cedric sah ihn verwundert an. »Hast du Alice gesehen?« Alice? Welche Alice? »Meine Freundin natürlich, welche Alice denn sonst? So viele Alice wird es in Destiny Valley ja wohl kaum geben, oder?« Natürlich, Katja’s Tochter. Im selben Jahrgang wie Alessa, ihrer kleinen Schwester. Die so klein nicht mehr war. Cedric fuhr sich durch die blonden Haare. Wie konnte man bei all diesen kuriosen Beziehungsrelationen in diesem Kaff denn den Überblick wahren? Er konnte es nicht und wollte es auch nicht. »Noch nicht ganz wach, hm?« Simon schielte auf sein Geschichtsbuch. »Und den ersten heißen Tag des Jahres verbringst du mit Büffeln? Oller Streber!« Sein Bruder grinste ihn wieder an. Weshalb sah er sich selbst nie so grinsen? »Naja, ich geh weiter Alice suchen. Schlaf nicht wieder ein!« Okay. Versprochen. »Sonst endest du so wie Onkel Gray.« Eine Warnung? »Allerdings hoffe ich dann, dass es bei dir der Siebenschläfer bleibt.« Red keinen Unsinn. Simon. Woher nimmst du nur diese Unbeschwertheit? »Ich kann es mir halt leisten!« Ein weiteres Grinsen. »Okay Ced, mach’s gut, wir sehen uns später.« Simon lief davon, winkte ihm hinterher. Cedric sah seinem Zwilling nach, auch als er schon längst verschwunden war. Solange, bis etwas anderes seine Aufmerksamkeit erregte.

Es war ein schwarzer Hase.


Schach Matt!

Ein grässliches Geräusch weckte ihn. Es klang, als würde etwas Schweres am Boden entlangschleifen. Schon hörte er eine bekannte Stimme von oben herab zugebrüllt. Verwirrt öffnete der Junge die Augen – und fand sich mitten in einem Schlachtfeld wieder.




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