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Writing Prompt #01

"I never thought you’d hurt me but I was wrong. You hurt me the most.”


Verrat [Schuld]

 „Warum hast du ihr das gesagt?“, fragte ich. Meine Stimme klang weder laut noch leise, weder aufgewühlt, noch ausdruckslos. Dabei war ich wütend – so wütend wie schon lange nicht mehr. Ich holte einmal tief Luft, versuchte so, die aufwallende Emotion in Zaum zu halten.

 „Gib's zu, du hättest es doch nicht über dich bekommen. Ich hab dir nur einen Gefallen getan.“ Die blauen Augen, dasselbe Gesicht – mein Bruder, mein Zwilling, die Person die ich seit jeher kannte. Warum ausgerechnet er? Verrat, dachte ich, du hast mich verraten. Von allen Personen, alljenen, denen ich misstraute, hatte ich ausgerechnet in der Familie einen blinden Fleck.

 „Komm schon Ced, wie lange schleppst du das schon mit dir rum? Das konnte ich mir einfach nicht länger mit ansehen!“ Eine fadenscheinige Entschuldigung und bitter schmeckte die Überheblichkeit seiner Worte, die verlauten ließ, das er sich nicht aus Mitleid, sondern aus purer Berechnung eingemischt hatte.

 „Du hattest kein Recht dazu.“, entgegnete ich und fand es selbst erbärmlich, wie lasch meine Antwort klang.

 „Und du hattest kein Recht, es ihr noch länger zu verheimlichen. Du hast sie betrogen, mein Lieber, ausgerechnet du, der ehrenwerte Cedric, die ehrliche Haut, dem Loyalität ja soo wichtig ist. Kannst du dir selbst denn noch in die Augen sehen?“

 Ich sah weg, wich seinem Blick aus. Er musste mir das nicht sagen – ich wusste selbst, welchen fatalen Fehler ich begangen hatte. Nicht nur, das ich in jenem Moment der Schwäche sie einer anderen, einem Schatten der Vergangenheit, vorgezogen hatte, war ich dann auch noch weggelaufen, vor ihr, vor der Situation, davor, mich der Wahrheit stellen zu müssen. Doch die Konfrontation war mir nun genommen worden und nie hätte ich erwartet, das sich die Schmach und die Reue, die ich seit meinem Vergehen verspürte, noch steigern könnten. Sie würde mich nicht wieder sehen wollen. Ich hatte sie verletzt, dieses zerbrechliche Mädchen, obwohl ich ihr versprochen hatte, ihr nie einen Schaden zuzufügen. Nun hatte gerade ich ihr den größten zugefügt – jemand, von dem sie es wohl nie hatte kommen sehen.

 „Soll ich dir sagen, wie sie reagiert hat?“ Ich ballte die Hände zu Fäusten, wollte es nicht hören und doch glaubte ich, diese Strafe verdient zu haben.  „Sie hat mich mit ganz großen Augen angesehen. Wollte es wohl nicht wahrhaben, die Arme. Ich glaube, so viel Tränen habe ich schon lange nicht mehr bei einer Person gesehen.“

 „Hör auf.“

 „Und dann hat sie sich gegen meine Brust geworfen. Hat wohl Trost gesucht und das bei jemanden, der ihr eine solche Neuigkeit eröffnet hat. Du hast dir da schon ein seltsames Mädchen angelacht.“

 „Halt die Klappe!“, sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.

 „Achja, am besten fand ich die Frage, ob du deiner Ex noch verfallen bist. Na Ced, wie sieht es aus: Liebst du sie?“ Die letzten drei Worte sprach sein Bruder in einer derart nachgemachten, hohen Stimme aus, das mir schlussendlich der Kragen platzte. Ich schlug zu, wollte einfach nur, das er aufhörte mit seinem Hohn und seiner Arroganz, mit allem, denn sollten wir in Wahrheit nicht zusammenhalten? Sollten wir nicht stets aneinander glauben, wenn es sonst niemanden mehr gab? Ich wollte es nicht hören, ihn nicht hören, nie hatte ich gedacht, das ausgerechnet mein Zwilling mir eines Tages so in den Rücken fallen würde.

 Doch er war es nicht.

 

 Ich spürte den Schmerz, noch bevor ich überhaupt hinsah. Meine Hand war gespickt von Glassplittern, denn zerschlagen hatte ich in Wahrheit den Spiegel. Es war stets mein Spiegelbild gewesen, mein wirkliches und nie das Gesicht meines Bruders. Ich hatte sie betrogen, ich hatte es ihr gesagt, ich war es, der ihre Tränen getrocknet und sie daraufhin von mich gestoßen hatte. Der schwache Versuch zumindest einen Teil der Schuld auf eine andere Person zu übertragen – und warum dann nicht ebenjene, die mir schon immer am nächsten stand? - war gescheitert. Ich blickte auf die Scherben zu meinen Füßen, die zerbrochene Illusion und musste mir eingestehen, das ich niemand anderen brauchte, der mich verletzte. Denn die Person, die dazu am besten in der Lage war, war schon immer ich selbst gewesen.

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