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Dream Four: Still Alive

Der Klang verschiedener Stimmen war vernehmbar, schaffte es jedoch nicht sich in Form von Worten oder Lauten zu manifestieren. Nichtmal erkennen konnte Ced diese, zumindest eine bekannte, vertraute Stimme, die um ihn weinte ohne das er auch nur das Geringste davon ahnte. Doch eine Ahnung hatte er, irgendwie, auf eine skurrile Art und Weise, während er im Regen, im Dreck, im Blute lag, ohne den Grund zu kennen. Konnten die Stimmen nicht etwas fröhlicher klingen? Der traurige Ton verbitterte sein Herz und er wünschte sich, handeln, dagegen handeln zu können oder zumindest den Inhalt ihrer Worte zu Verstehen, um nachempfinden zu können, was in den Personen vorging, warum sie so fühlten. Warum nur war es so kompliziert? Geteiltes Leid war halbes Leid – ach nein, erneut ein Sprichwort das keinen Sinn ergab, denn nur weil man sich über sein eigenes Elend auskotzte, wurde es noch lange nicht besser, sondern vermehrte sich nur noch wie eine Pest, die Mensch über Mensch befiel, bis die Niedergeschlagenheit sie alle erdrückte. Ah.. wenn man so darüber nachdachte, war es vielleicht gar nicht so verkehrt, nicht zu erkennen, worüber die Stimmen sprachen, nicht zu Begreifen was um ihn herum geschah.

 

Hektik. Das nächste was er um sich herum wahrnahm war Hektik. Wieder ein neues Gefühl, dass hinzukam, welches ihm missfiel. Weshalb mussten die Menschen sich auch immer unnötigen Stress machen? Die Stimmen vermehrten sich, wurden lauter, schwerer, undurchdringender. Der einzige unbekannte vertraute Klang verlor sich in der Menge eines Bienengewirrs an Tönen und Lauten, die keinerlei Sinn ergaben. Es war anstrengend. Er würde Kopfschmerzen bekommen. Ugh. Halt, nein. Er befand sich in einer Synkope, daher sollten Schmerzen ausgeschlossen sein. Oder? Eigentlich… wenn man so darüber nachdachte… hatte er keine Ahnung. Verstehen war eine Gabe, die ihm abhanden gekommen war, die er eigentlich missen sollte, allerdings hatte er das seltsame Gefühl, daraus im Augenblick lediglich Vorteile zu ziehen, weswegen er es schlichtweg bei der Tatsache beließ, ohne dem ein Pro oder Kontra beizumessen. Es hätte eh nichts gebracht. Cedric verdrängte die Stimmen in den Hintergrund, setzte Akzente und Akkorde an ihre Stelle, bis sich eine Melodie ergab, die ihn beruhigen sollte, mit Musik jedoch so wenig gemein hatte, wie eine Lampe, die nicht leuchtet. Oder eine leere Vase. Oder so was Ähnliches. Ergab das einen Sinn? Vermutlich nicht. War aber auch egal. Der wabblige Inhalt in seinem Schädel, der gemeinhin als Gehirn bezeichnet wurde, hatte sein Limit erneut erreicht. Woher dieser gedankliche Puffer kam, ergab genauso wenig Sinn wie die Lampe. Vermutlich war der Sinn der Stimmen und der Lampe auch nur gewesen, alle Löcher, zu stopfen, die in der Lage wären, ihn aus der Synkope herauszuholen. Angenommen er stopfe sie nicht und sein Gehirn wäre in der Lage sich zu regenerieren.. das würde ja heißen, er müsste in die grausame Wirklichkeit zurück, die ihm nichts mehr zu bieten hatte als den Tod, der – mögen Himmel und Hölle ihn hören – hoffentlich besser zu früh als zu spät eintreffen würde.

Cedric war bewusstlos. Ganz sicher war er das, ab dem Zeitpunkt an dem sein Körper begriffen hatte, dass ihm ein wenig zu viel Blut fehlte. Vielleicht auch ein wenig mehr. Wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Die Ärzte möglicherweise, die ihn gerade behandelten. Zumindest war dies anzunehmen, denn von Wissen konnte nicht die Rede sein. Wissen war etwas, dass er schon lange lange verloren hatte.

Kälte empfing ihn. Regentropfen, die ihn unaufhörlich über das Gesicht liefen. Es war dunkel ja. Hatten sich trübe Wolken über den vorhin noch so hellen Mond geschoben? Natürlich. Sonst würde es ja nicht regnen. Oder? Cedric öffnete die Augen. Was war…? Wie langweilig~ Gehäßige Worte echoten in seinem Kopf. Rick. Niemand anders schoss wahllos Personen an und wäre von ebenjener selbst erzeugten Handlung gelangweilt. Schuss. Pistole. Blut. In seinem Kopf drehte sich alles. Rick lehnte in sicherem Abstand an seinem scheiß Motorrad. Dieses Grinsen… er hasst es, ihn, alles was dessen Person ausmachte. Person? Ha! Keine Person, ein Monster. Es waren Regentropfen in seinem Gesicht nichts anderes. Warum, warum befand er sich überhaupt auf den Knien? Vor es? Das war nicht… nicht… Pistole. Sie stoch plötzlich aus der Umgebung heraus, zeichnete sich klar ab von all den belanglosen Dingen, die ebenfalls sein Sichtfeld füllten. Es war nicht wichtig. Die Waffe war es, war eine Chance, Wozu wagte er kaum zu denken. Der Rache? Der Gleichberechtigung? Scheißegal! Mit zittrigen Händen griff der Junge nach der todbringenden Errungenschaft, rappelte sich mühevoll auf, sodass er – wenn auch gebeugt – auf seinen eigenen beiden Beinen stand. Rick grinste immer noch, höhnte, lachte. Ced wusste, dass er ihm wohl niemals etwas anhaben würde können, er gab vor allem erhaben zu sein und handelte auch danach, skrupellos und arrogant. Dennoch verleugnete der junge Mann die Wahrheit, wollte sie nicht hören. Die Pistole befand sich immer noch in seiner zitternden Hand. Sie hatte nicht zu zittern! Er musst zielen, anvisieren, da konnte er sich derartige Schwäche nicht erlauben! Moment – richtete er die Waffe tatsächlich gerade auf Rick? Es war lachhaft, er wusste es und der Amerikaner wusste es ebenfalls, schien von seinen aussichtslosen Bemühungen nur noch amüsiert zu sein. Wobei, amüsiert war eine Steigerung zu gelangweilt. Das war schlecht, er war kein Spielzeug das sich beliebig zu Unterhaltungszwecken eignete! Hass und Zorn stauten sich weiter in ihm auf, ließen ihn schließlich gerade stehen, versuchten ein Ziel zu finden und scheiterten doch daran. Die eine Hand griff nach der anderen, versuchten sie ruhig zu stimmen. Erfolgreich. Er spürte weder den Regen noch die Kälte noch sein kaputtes Bein in diesem Moment. Selbst seine Gefühle verpufften in der Dunkelheit, Emotionen waren lediglich ein unnützes Mitbringsel der Menschen, das von in jeder Situation von ihrem Ziel ablenkte. Seine Augen fixierten den Mann ihm gegenüber. Er könnte es. Abdrücken. Hier und jetzt. Oder? Konnte er es nicht? Warum? Spielten moralische Vorgaben und das Gebilde, welches gemeinhin als ‚Recht‘ benannt wurde tatsächlich noch eine Rolle? Augenblicke verstrichen. Warum Zögern? Tu es! Nein. Sein Finger bewegte sich quälend langsam, als er-

Hochschreckte? Alles um ihn herum drehte sich, verwandelte sich in Rauch und Schall ohne konkrete Formen anzunehmen. Das Bett unter sich spürte er nicht, sah lediglich auf seine Hände, blutbefleckt und rot. Nein. Was war passiert? Er versuchte sich zu orientieren, suchte nach Anhaltspunkten in diesem weißen kahlen Raum, welches durch ihn beschmutzt wurde. Fenster. Das Zimmer nahm Konturen an. Keine Zeit mehr, schneller! Tür. Perfekt! Der Fluchtinstinkt war enorm, wenngleich er sich deren Ursprung nicht erklären konnte. Er musste weg hier, weg und das sofort. Er riss die helle Decke von sich, fiel fast schon aus dem Bett, ehe er sich fing und zur Tür rannte. Wo wollte er überhaupt hin? Nein, die Frage war zweitrangig. Wichtiger war – wo befand er sich überhaupt? Der weiße Flur schien ebenso surreal wie der Raum, in dem er sich schleierhafterweise befunden hatte. Woher war das Blut überhaupt gekommen und warum zur Hölle klebte es an seinen Händen? Leicht verstört über die Lücken in seinem Kopf, begann er den Gang entlang zu gehen, schließlich zu rennen. Keine Menschenseele. Gott sei Dank. Ecke um Ecke lief er weiter ohne je an ein Ende zu gelangen. Drehte er sich im Kreis? Nein, das hätte er bemerkt, oder? Cedric hielt inne, verschnaufte. Als die Ruhe in ihm einkehrte, hörte er Stimmen. Erwartungsvoll folgte er den Lauten, vielleicht fand er ja tatsächlich eine Antwort auf seine Fragen? Leise schlich er zur Quelle, vor einem Raum an dem die Tür nur angelehnt war.

»Wir konnten leider nichts mehr tun.«, war da zu hören.

»Haben Sie schon die Eltern erreicht? Oder sonstige Verwandte?«

»Bisher nicht. Wir arbeiten daran.«

In atemloser Neugierde öffnete Cedric die Tür etwas weiter. Groteskerweise hatte er erwartet sich selbst zu sehen, was erneut keinerlei Sinn ergeben würde, doch dem war nicht so. Doch der Anblick der Person, die die Ärzte soeben dem Tod überlassen hatten, hätte ihn nicht schlimmer treffen können und er wünschte tatsächlich einmal Platz tauschen zu können. Sein Herz zersplitterte in tausend kleine Teile, die der Mühe nicht wert waren, sie wieder aufzuheben und zusammenzufügen. Cedric drehte sich auf dem Absatz um, rannte und rannte ohne sich umzudrehen. Er wusste auch so, dass der Boden sich unter ihm auflöste und versuchte ihn einzuholen, zu kriegen, zu verschlingen. Panisch lief er weiter, doch es war aussichtlos. Die Schwärze erreichte ihn, zog ihn mit in die Tiefe der Realität in die er nicht zurückkehren wollte.

Schmerz. Schmerz und Dunkelheit waren das erste was er wahrnahm, als sein Gehirn langsam wieder anfing zu arbeiten. Der Kern der Qual war nicht auszumachen, pendelte zwischen seinem Bein und seinem Herzen, konnte sich nicht entscheiden und füllte daher schlichtweg seinen ganzen Körper aus. Seine Erinnerungen kehrten langsam zurück, das groteske Gespräch mit diesem Mann, die surrealen Ereignisse die demzufolge hatten und das Wissen über Rans Tod vermischten sich zu einem krüppeligen Gebilde der Pein. Ran ist tot. Der Gedanke drohte ihn zu ersticken, unbeherrscht schnappte er nach Luft um seinen Körper weiterhin am Leben zu erhalten. Nein, sein Körper hielt sich selbst am Leben, traurigerweise. Augenblick um Augenblick wurde er wacher, gleichbedeutend das der vorhandene Schmerz immer deutlicher in den Vordergrund rückte, ob er wollte oder nicht. Womit hatte er das verdient? Die Frage war überflüssig, immerhin handelte es sich um das Leben. Hurrah! Seine Augenlider waren schwer, doch hielt er die Finsternis in der er sich befand nicht länger aus.

Es war hell, unerträglich hell, fast schwerer zu ertragen als die Dunkelheit in der er wohl besser geblieben wäre. Er befand sich im Krankenhaus, klar. Vollkommener Filmriss. Fuck. Was zwischen seinem letzten Gedankengang an der Korallenbucht und dem Zimmer hier in der Klinik passiert war konnte er sich lediglich zusammenreimen, sicherlich würde er es früh genug erfahren, womöglich unfreiwillig, denn tatsächlich interessieren für diese Lücke tat er sich im Moment in keinster Weise. Ran war tot, er hatte sie gesehen, umring von Ärzten die ihr Bedauern ausgesprochen hatten. Wie konnte er daran nun noch zweifeln? Niemand war hier, niemand bei ihm, wer auch? Es gab niemanden mehr. Erdrückt von seinem Kummer, schloss er die Augen erneut auch wenn keine Hoffnung mehr dafür bestand, dass dies der Ewigkeit andauern würde.