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Proyecto Hogar – ein Haus für eine Familie

Weihnachten, das Fest der Liebe. Und wer kennt es nicht? In den Unternehmen wird üblicherweise eine große Weihnachtsfeier veranstaltet und jede Menge Geld für unnütze Kundengeschenke ausgegeben. Dieses Jahr überlegte sich meine Firma jedoch etwas anderes.

Mit der Unterstützung von der gemeinnützigen Organisation Proyecto Hogar entschieden wir uns ein Haus für eine Familie in Not zu bauen. Vor Weihnachten haben wir es zwar nicht mehr geschafft, aber am Wochenende des 04. und 05. Januars haben wir schließlich angepackt. Ich sah, was ich schon auf meinem Ausflug zur Shanty Town von Villa el Salvador gesehen hatte und doch war der Impact dieses Mal viel größer. Heftiger.


Aus Schulzeiten kenne ich es noch: Vor Weihnachten wurden gerne Spendengelder für Projekte gesammelt. Das Frauenhaus in der Stadt, ein Tierschutzheim, Kindernothilfe und ein Häuschen im globalen Süden war da auch schonmal dabei. Mit Glück bekommt man im Nachhinein ein Foto zugeschickt, aber ansonsten war's das. Man spendete 20, 30 € in die Klassenkasse, aber was am Ende dabei raus kam, wirkte oft sehr fern.

Diesmal steckte ich jedoch mitten drin. Wir fuhren morgens mit dem Bus an den Rand von La Molina und bestiegen einen steilen, staubigen Hügel, der so manchen Kollegen aus der Puste brachte. Die Aussicht vom Gipfel aus ist ein Witz. Wir blickten zurück auf La Molina, auf die modernen Wohnblöcke und dem kleinen Park, der künstlich geschaffenen Grünfläche auf dem Wüstenboden. Alles normal.

Vor uns jedoch, befand sich eine Mauer. Eine Mauer aus Stein und Drahtgeflecht, vielleicht 2 Meter hoch, die sich über die kompletten Hügel zieht. Ein Ende kann ich nicht erkennen. Eine Lücke gibt es nur hier und auch nur in Kombo mit einem Wachturm.

 

„Das ist unser Checkpoint Charlie.“, sagte meine Chefin. An diesem Tag war der Wachturm jedoch verlassen, weil Wochenende ist oder weil wir hier sind, mutmaßte sie weiter. Wir hatten uns eine Genehmigung einholen müssen um die Mauer so sorglos passieren zu können.

Auf der einen Seite La Molina, aus dessen Richtung wir kamen.

Auf der anderen Seite nun San Juan de Miraflores.

Die Aussicht vom Hügel herab ist unglaublich. Eine Hütte reiht sich an die andere, einige neuer, die meisten jedoch ziemlich heruntergekommen. Es ist still hier, wir sehen beide Tage über nur eine handvoll Menschen.

Die Mauer wurde von der Gemeinde von La Molina geschaffen, um zu verhindern, das 'diese Leute' zu ihnen kamen. Sie steht auch erst seit ein paar Jahren. Heute ist wohl im Gespräch, Stufen zu bauen, um den Weg zu erleichtern. Ein unwegsamer Pfad, den meinen Kollegen ächzend erklommen sind und den viele Menschen tagtäglich gehen. Für Arbeit. Denn Geld gibt es bekanntlich nur da, wo die Leute auch Geld haben. Sie arbeiten in kleinen Märkten oder als Haushaltshilfe.

Der Bau beginnt

Die Materialen lagen bereits vor Ort, an der Stelle, an der das Haus schlussendlich stehen sollte. Uns begleitete nur ein einziger Mann von Proyecto Hogar – Diego – der das Ganze ein wenig koordinierte und uns auch die beiden Señores vorstellte, die hier einziehen würden. Ein älteres Ehepaar. Kinder hatten sie, aber ob sie woanders lebten oder wir sie nur nicht zu Gesicht bekamen, weiß ich nicht.

Mit nur einem Werkzeugkoffer als Unterstützung legten wir also los. Zuerst wurde der Grundstein eingegraben, dann die Böden, bestehend aus 3 Platten, aufgelegt. Für mich gab es nicht viel zu tun, wir waren sowieso sehr viele. Also nahm ich das Angebot an und begleitete die Chefin und eine Kollegin kurzweilig zur Señora, die derzeit in einer geliehenen Hütte untergekommen war.

In der Hütte gab es ein Zimmer in dem ein Bett und eine kleine Plastikkommode standen sowie einen Raum, mit einem Gasherd auf einer alten Kommode und ein paar Stühle, auf denen Kisten mit Utensilien, wie Kochgeschirr, verstaut waren. Sie war hier untergekommen, um kochen zu können, sagte sie und erzählte so viel, das ich ihrem Spanisch irgendwann nicht mehr folgen kann. Und dann fing sie an zu weinen.

Meine Chefin tröstete sie und erklärte mir später, das die Frau mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen gehabt hatte. „Hat sie deswegen geweint?“, fragte ich und als Antwort bekam ich ein „Auch“, in dem mitschwang, das noch mehr dahintersteckte.


Als wir zurück zum Bauplatz kamen, waren die Kollegen gerade dabei die erste Wand einzusetzen und festzunageln. Stück für Stück fügte sich alles zusammen. Ich setzte mich hinter die anliegende Hütte und blickte eine ganze Weile einfach nur auf die Barrackenstadt vor mir herab. Oder schloss die Augen. Der staubige Boden und der scharfe Wind brachten diese nämlich regelmäßig zum tränen.

Ein dürres Kätzchen leistete uns Gesellschaft, gut, dass wir vorher an Katzenfutter gedacht hatten. Später blickte noch ein Rudel Hunde vorbei und drei Kinder, die Fußball spielten, wobei der Ball regelmäßig die Hügel runterpurzelte und geholt werden musste.

 

Ein Kollege fragte mich später, was so in meinem Kopf herumging. Ich zuckte nur mit den Schultern. Es gab kein fließend Wasser, keinen Strom. Das Bad bestand aus einem windigen Häuschen und einem Loch im Boden. Die Leute organisieren sich Strom, um ihre Handys zu laden, Wasser wird in Wassertrucks geliefert, was es teurer macht, aber eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Ich fragte ihn, wie gefährlich er diesen Ort einschätzt, denn es wirkte alles so still und daher seltsam friedvoll.

„Nun, nachts sollten Leute wie du, also weiße Leute, hier nicht sein. Auch ich nicht. Ich bin braun, aber für diese Leute bin ich weiß.“

 

Im Verhältnis: Leg einmal den Daumen deiner rechten, in die Handfläche deiner linken Hand. Dieser Daumen ist der reiche Teil Limas, der Teil in dem meine Kollegen und ich mich stets bewegen, der Teil der mir an sich schon riesig erscheint. Die restliche Hand jedoch, bis in die Fingerspitzen hinauf, das sind Teile wie dieser hier. Und all das, das ist Lima.


Eigentlich ist es erbärmlich, wie wenig ich weiß. Die spanische Kolonialzeit begann im 16. Jahrhundert und die Auswirkungen sind auch heute allgegenwärtig. Ich versuche ein wenig in meinem Gedächtnis zu kramen, aber auch aus der Schulzeit mag mir zu Südamerika wahrlich nicht viel einfallen. Es ist verrückt, wenn man sich plötzlich inmitten von Armut wiederfindet und lernt, das der Grund für diese Kluft noch heute auf die Eroberungszeit zurückzuführen ist. Das ist nicht Vergangenheit, das ist Jetzt. Mein Kollege seufzte nur und meinte, dass sich auch in Zukunft hier rein gar nichts ändern wird. Weil es in Wahrheit niemanden kümmert.

Um 5 Uhr Nachmittags waren wir schließlich noch dabei, die Blechdächer zu befestigen, ehe wir uns an den Abstieg machten. Wir konnten stolz auf uns sein. In nur einem Tag hatten wir den Grundstein gelegt, den Boden ausgebreitet, die Wände errichtet und das Dach gedeckt. Für den nächsten Tag fehlte uns also nur noch einige Kleinigkeiten, die Fenster und der Anstrich.

 

Gegen 7 Uhr war ich zu Hause gewesen und hatte mich lange nicht mehr so sehr auf eine Dusche gefreut. Obwohl ich nicht wirklich viel mitarbeiten konnte, hatte ich das Gefühl in Staub und Dreck zu ersticken. Für mich ist es leicht. Dusche angedreht, noch schnell die Wäsche gewaschen, dann sauber in mein Bett und Netflix an. Zum Ausspannen nur einen Knopfdruck entfernt.

Tag 2!

An diesem Tag wollten wir uns von der anderen Seite nähern, um uns den beschwerlichen Aufstieg vom Vortag zu ersparen. In meinen Augen haben wir dafür jedoch noch länger gebraucht. Wir fuhren nun durch den kompletten Bezirk von San Juan de Miraflores. Ein Kollege von mir wohnt dort auch, in einem Haus. Es ist skurril wie die Häuseransicht Block zu Block abnimmt. Hochhäuser am Anfang, Barracken am Ende. Dazwischen jedoch mussten wir dreimal nach den Weg fragen und ein waghalsiges Wendemanöver einleiten. Mit dem Bus kamen wir aber nur bis zu einem gewissen Punkt, den Rest gingen wir dann die Treppen hoch. Von diesem Punkt aus waren zahlreiche Stufen zu sehen – es gab Treppen, die sicherlich über tausend Stufen hatten! 

Nun muss ich sagen: Malern ist gar nicht so einfach! Klamotten und Hände waren in Nullkommanichts ebenfalls türkis. In nur wenigen Stunden vollendeten wir unser kleines 3-Zimmer Häuschen. 

Übrigens: So ein Haus, wie wir es nun gebaut haben, kostet ca. 8.000 Soles. Das sind umgerechnet etwa 2150 EUR.


Wir feierten den Einzug auch traditionell, in dem eine Flasche Champagner zerschlagen wurde. Unser Chef hielt noch eine kurze Ansprache und spätestens dann konnte das Ehepaar seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Alles in Allem war es unglaublich emotional.

Und lässt mich ebenso unglaublich nachdenklich zurück. Danach gingen wir noch Essen und der Kontrast zwischen Nichts und Allem als direkte Nachbarn erschütterte mich. Natürlich war mir auch davor klar, dass Armut existiert, dass auch Peru und insbesondere Lima, davor nicht gefeit ist. Dennoch bin ich normalerweise – obwohl es so nah ist – damit schlichtweg nicht konfrontiert. Genauso wenig wie meine Kollegen. Für viele war es auch für sie das erste Mal, sich in den Armutsvierteln, den Slums, zu bewegen.

Es hat mir auch erneut gezeigt, für wie selbstverständlich wir unseren Luxus halten. „Die Reichen“ betreten Shanty Town üblicherweise nicht. Es ist leicht den Umstand zu vergessen, dass diese Viertel überhaupt existieren. Andersrum gehen diese Leute jedoch täglich nach San Isidro, Miraflores, San Miguel und all die angesehen Viertel – für Arbeit. Wie mag es sein, jeden Tag aufs Neue damit konfrontiert zu werden, was einem alles fehlt?


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