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Mut

„Das du alleine nach Peru gehst, finde ich echt mutig.“

„Ein Jahr im Ausland? Das hätte ich mich nicht getraut.“

„Hast du keine Angst?“

 

 

Sätze wie diese und weitere hörte ich tatsächlich überraschend oft, nachdem ich verkündete, dass ich für ein Jahr nach Peru ging. Und das machte mich stutzig. Ich? Mutig? Sicher nicht! Ich zähle mich selbst zu den schreckhaftesten Menschen, die ich kenne. Jemand muss nur unerwartet an mir vorbeigehen und ich springe sofort im Dreieck. Aber was genau bedeutet Mut für uns heutzutage? Und leben wir in einer ängstlichen Gesellschaft?

Was ist Mut überhaupt?

 

Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten, aber das dürfte keine Überraschung darstellen. Klar ist auch, dass Mut eine rein relative Sache ist. Verschiedene Menschen handeln in verschiedenen Augenblicken mutig. Bewusst und unbewusst – das kommt darauf an, aus welchem Blickwinkeln die Angelegenheit betrachtet wird. Es gibt sicher Punkte zu diesem Thema, die einen Konsens bilden. Ich will jedenfalls versuchen, diese Frage aus verschiedenen Perspektiven anzugehen.

 

 

Fangen wir trocken an.

Ursprung

Im Deutschen Wörterbuch (und Wikipedia) heißt es da wie folgt:

Das Wort „Mut“ stammt aus indogermanisch mo- = sich mühen, starken Willens sein, heftig nach etwas streben > germanisch moda-, mōþa-, mōþaz, mōda-, mōdaz = Sinn, Mut, Zorn > althochdeutsch muot = Sinn, Seele, Geist, Gemüt, Kraft des Denkens, Empfindens, Wollens

 

Im Hochmittelalter […] als hôher muot in der Bedeutung von Hochherzigkeit und Edelmut zur Tugend, die den „edlen Ritter“ kennzeichnet.

Nachdem die Ritter nicht mehr so angesagt waren, veränderte sich auch der Sprachgebrauch und aus hôher muot wurde der Hochmut, wie wir ihn auch heute noch kennen: Ein auf Überheblichkeit beruhender Stolz gepaart mit Arroganz.

 

Hochmut ist dabei längst nicht alles. Wisst ihr in wie vielen Wörtern die drei kleinen Buchstaben von Mut enthalten sind?

 

Wankelmut. Freimut. Wagemut.

Großmut. Sanftmut. Schwermut.

Kampfesmut. Anmut. […]

 

Beschrieben werden dabei die unterschiedlichsten Dinge. Von Unentschlossenheit zu Offenheit, von einer fast tollkühnen Art zu Güte und Großzügigkeit. Wir sprechen von Melancholie, Lieblichkeit und der Bereitschaft zu kämpfen und bleiben dabei stets im selben Wortstamm! Wenn das keine Zumutung ist – das schlägt einem wirklich aufs Gemüt.

 

Jetzt sind wir zwar dem Ursprung des Wortes und seinen Verwandten auf den Grund gegangen wie ein überfleißiger Deutschlehrer, doch näher an einer Antwort sind wir noch nicht. Ich bringe das nur ein, da ich wirklich erstaunlich finde – und man nie darüber nachdenkt – wie die unterschiedlichsten Aussagen getroffen werden können, obwohl der Kern stets derselbe ist.

Unsere Helden

Ein Fakt, der nicht von der Hand zu weisen ist: Mut ist eine attraktive Eigenschaft.

 

In Geschichten wollen wir sehen, wie unsere Protagonisten mit Konflikten kämpfen und sie lösen, in dem sie Mut beweisen. Je jünger die Zielgruppe, desto offensichtlicher.

 

Harry Potter ist im Haus Gryffindor, in dem Tapferkeit und Mut regieren – Wortlaut. Gryffindor wird hierbei zudem von einem Löwen als Wappen symbolisiert. Der König der Tiere, kraftvoll und stark als Zeichen für ein Haus, welches Mut als ihre oberste Eigenheit gewählt hat.

 

In Digimon werden den Kindern verschiedene Werte zugeschrieben und auch hier ist es der Protagonist, der das s.g. »Wappen des Mutes« erhält. Disney/Pixar hat mit dem Film Merida einen Titel herausgebracht, der in der Originalsprache sogar das Wort Brave enthält.

 

Wir symbolisieren damit Ritterlichkeit, ein edles, gutes Verhalten. Natürlich dürfen unsere Helden Fehler machen, immerhin müssen sie ja an etwas wachsen können, doch im Grunde stehen wir hinter ihnen, weil wir denken, dass sie das Richtige tun – selbst wenn sie Angst haben. Angst, die uns zum Scheitern verleitet, wollen wir überwunden sehen. Auch Abenteuerlust spielt hierbei eine große Rolle, steht sie doch für den Mut dem Ungewissen zu begegnen und sich von Verpflichtungen loszulösen. Der Traum nach Freiheit lockt, doch um ihn zu ergreifen, muss man mutig sein.

 

 

 

Es gibt zahlreiche solcher Geschichten. Wird hier also verkörpert, was wir manchmal gerne wären, aber nicht sind? Der Wunsch danach, ebenso mutig zu sein wie unsere Helden, ehe unser innerer Schweinehund wieder mit all den „Aber“ kommt?

Arten von Mut

Natürlich beläuft es sich längst nicht nur auf die Sorte von Mut, ein Schwert in die Hand zu nehmen, um den Feind zu bekämpfen und so die Lieben zu beschützen. Im Ernst, das ist nicht gerade etwas, nachdem wir im tatsächlichen Leben streben. Dahinter steht der Kampf gegen den Tod – des Menschheits größte Angst – und keiner kann mir erzählen, dass er scharf darauf ist. Wir leben ja an sich doch ganz gerne. Sind Geschichten also doch nur Geschichten?

 

Dann gibt es natürlich die Art von Mut, die dafür steht, wenn sich Menschen für ihre Ziele, Träume und Wünsche einsetzen. Das ist für uns viel näher. Wer sich ein Ziel setzt, muss dafür arbeiten. Und je größer die Widrigkeiten, desto mehr muss si*er darum kämpfen. Wer dann nicht aufgibt – nicht den Mut verliert – kann es auch wirklich schaffen. (Oder trotzdem scheitern, doch das steht auf einem anderen Blatt). Nur kämpft nicht jeder für seine Wünsche – wenn der Mut fehlt und das innere „Aber“ zu groß erscheint.

 

Dieser Punkt steht in Relation zum Mut zur Veränderung. Den brauchen wir um etwas, dass uns nicht passt, aus der Welt zu schaffen. Das steht im Gegensatz zu der vielseits besprochenen Angst vor Veränderung, denn es besteht ja immer dieses Risiko, dass es danach viel schlimmer ist als jetzt und man mit einem Versuch alles kaputt macht. Ein weiteres fettes „Aber“ in unserem Inneren, was uns ausbremst. Das Aber der Vorsicht. Der Sorge. Der Angst?

 

Der Mut, zu seinen eigenen Fehlern stehen zu können, wird häufig hochgeschätzt. Oder offen Fragen zu können. Beides spielt eher auf den Nerv, was andere von uns halten. Denken wir wirklich es sei eine Schwäche, Fehler zuzugeben und wehren deshalb so häufig diese Kritik von uns ab? Dabei ist doch genau das Gegenteil der Fall.

 

 

Und dann haben wir da noch den sozialen Mut. Das ist die Sorte, bei der Menschen laut für sich sprechen, gefestigt ihre Meinung vertreten und die meiner Meinung nach zu wenig geschätzt wird. Ich liebe die Szene im ersten Band von Harry Potter, in der Neville – zurückhaltend und schüchtern wie er ist – sich gegen seine Freunde stellt, damit diese nicht wieder Ärger verzapfen, sich selbst in Gefahr bringen und die Gruppe in ein schlechtes Licht rücken.

 

Bei sozialem Mut geht es um moralische Werte und besonders wichtig: Zivilcourage. (Funfact: Zivilcourage heißt wörtlich übersetzt "Bürgermut". Da haben wir es schon wieder!) Wer bei Gewalt, Leid und Hetze aufsteht und sich dagegen einsetzt, steht oft alleine da. Es ist so viel einfacher, schnell wegzusehen, bevor man in etwas hineingezogen wird. Lieber vergessen, als involviert zu werden.

 

Wer nicht den Mut oder die Kraft hat, für seine eigenen Träume zu kämpfen – das ist okay. Das muss jeder für sich selbst entscheiden und es betrifft auch nur den Einzelnen. Zivilcourage jedoch, zeigt das Wesen einer ganzen Gesellschaft. Wie wir miteinander umgehen. Warum haben wir oft auch nur Angst uns laut für oder gegen etwas auszusprechen, wenn wir scheinbar allein mit einer Meinung dastehen? Weil wir uns dabei verletzlich gegenüber anderen Menschen geben – und wir alle wissen, dass wir alle nicht immer nett zueinander sind.

 

Ich will ganz ehrlich zugeben, dass der letzte Punkt in diesem Abschnitt, der für mich Wichtigste ist, weil ich mich genau davor am meisten fürchte.

 

 

Und genau darum geht es letztendlich: Angst überwinden.

Quintessenz

Warum Mut so unterschiedlich für uns ist, liegt daran, dass auch unsere Ängste sich voneinander unterscheiden. Ängste können verschiedene rationale wie irrationale Ursachen haben und jeder schleppt so sein eigenes Päckchen mit sich herum. Es sind eigene Erfahrungen, die uns prägen, aber auch Fremde.

 

Meine Freundin Anne hat es einmal in wunderbar treffende Worte gefasst, die ich hier einmal gerne zitieren möchte:

 

 

» Was einige als mutig erachten, ist für andere selber total normal, weil es nicht zu ihren persönlichen Ängsten/Schwächen gehört.

Im Umkehrschluss darf man auch deshalb niemanden verurteilen, für den eine bestimmte Situation viel Mut erfordert, aber sie für einen selbst total lapidar erscheint. Jeder hat andere Grenzen, die man respektieren muss. «

 

 

Das bringt mich zum Anfang zurück. Ich empfinde mich selbst als überhaupt nicht mutig, weil ich ein Jahr lang nach Peru gehe. Meine Angst zu Hause nichts für mich selbst zu erreichen und festzustecken war viel, viel größer. Dafür empfinde ich ganz andere Sachen als besonders mutig, wie an dieser Stelle angekratzt.

Das ist alles eine rein subjektive Darstellung meinerseits. Und genau weil es für jeden Menschen anders gewichtet wird, sollten wir nicht zu sehr verzagen, wenn wir bei einigen Sachen nicht den gewünschten Mut aufbringen können. Wir tun es womöglich an anderer Stelle, ohne es überhaupt zu bemerken. So können wir an einander wachsen.

 

Im Duden steht es übrigens wie folgt – nach der Textflut hier, einmal kurz zusammengefasst:

 

  • Fähigkeit, in einer gefährlichen, riskanten Situation seine Angst zu überwinden; Furchtlosigkeit angesichts einer Situation, in der man Angst haben könnte
  • [grundsätzliche] Bereitschaft, angesichts zu erwartender Nachteile etwas zu tun, was man für richtig hält

 

Von der Mutprobe, der sich Kinder stellen, um sich zu beweisen bis hin zu Zitaten, Sprüchen und Gedichten, die einander Mut machen sollen. Es ist ein unglaublich facettenreiches Thema, dem wir jederzeit begegnen. Es ist nicht einfach. Es ist sogar sehr schwer. Nicht jeder kann offen über seine Ängste sprechen, dennoch denke ich, dass eine Diskussion in der Hinsicht äußerst viel bewirken kann. Oft wird uns erst beim Sprechen klar, was uns bewegt – und warum. Manchmal sollten wir ein bisschen tiefer bohren, anstatt nur an der Oberfläche zu kratzen.

 

Also nur Mut!

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Kommentare: 1
  • #1

    Silke Berthold (Mittwoch, 14 August 2019 21:56)

    Ich liebe deine Gedanken. Ich liebe es, wie du sie in Worte fasst! Danke!