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Lagune 69 [Teil 2]

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Die Landschaft änderte sich schlagartig, noch bevor der Bergsee überhaupt in Sichtweite war. Plötzlich wurde es flacher und im selben Augenblick verschwand das letzte Grün und wurde von Geröll ersetzt. Ich fühlte mich unglaublich klein im Angesicht der Gletscher, die vor mir aufragten. So nah. So überwältigend. Sobald es eben wurde, ging es mit der Atmung auch prompt leichter. Ein Schild kündigte die Lagune an, verzeichnet mit der Aufschrift: 4600 M. Viertausend. Sechshundert. Meter. Es war eine Zahl, die ich nicht begreifen, nicht in Relation setzen konnte. Und dann lag sie plötzlich vor mir: Die türkisblaue Lagune.

Typisch - Natürlich ließ ich mich nicht sofort auf den Anblick ein. Für mich stand außer Frage, dass ich zuerst meine beiden Begleiter wiederfinden musste. Kurz glaubte ich, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Es waren so viele Leute hier! Doch tatsächlich fand ich Ruth und Chipi, setzte mich zu ihnen und verdrückte erstmal ein Sandwich. Dann noch eines. Die Lagune 69 hatte ich gegen 13 Uhr erreicht – schätzungsweise 15 Minuten später als die anderen zwei. Ging eigentlich, dachte ich. Ob die Schätzung stimmte, blieb natürlich offen. Die beiden hatten einen schönen Spot gefunden, die Sonne strahlte vom Himmel, der See lag idyllisch vor uns. Es war kalt, aber wir waren ja warm eingepackt. War es also all die Mühen wert gewesen? Entschädigte dieser paradiesische Anblick den Horrortrip hier hoch? So schnell wollte ich mir mein Urteil dazu noch nicht bilden.

Tatsächlich entdeckte ich oben neu gewonnene Energie. Zu essen und zu sitzen, mit dem Wissen, nicht sofort wieder aufstehen und weitergehen zu müssen, entspannte mich unglaublich. Schneller als gedacht war ich also wieder (kurzfristig) auf den Beinen, denn die Fotos machten sich nicht von alleine! Die Gletscherkette im Hintergrund und dieses strahlende Blau davor ist erneut ein Anblick, der sich auf keinem Bild der Welt festhalten lässt. Der Haken an der ganzen Sache? Wir hatten gerade mal eine Stunde Zeit, ehe wir wieder den Rückweg antreten mussten. Für mich viel zu wenig! Also genoss ich jede Minute des Panoramas vor meinen Augen. Ob ich sowas jemals wieder sehen würde?  

Ab nach unten!

Mir grauste davor. Ich war bisher dreimal wandern und dreimal hatte ich den Abstieg gehasst. Der Aufstieg war mir stets der Liebere gewesen und beim letzten Mal hatte ich mir noch gedacht: Ich geh keinen Berg mehr runter – das nächste Mal fahre ich mit der Seilbahn! Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja noch nicht ahnen können, das sich das Zukunfts-Ich in den Kopf gesetzt hatte die peruanischen Höhen zu erklimmen. Wo es natürlich keine Seilbahn gab ;-)

Nach dem kräftezehrenden Aufstieg war ich super vorsichtig beim Abstieg. Doch zu meiner Überraschung lief es gut! Was war denn nun auf einmal los? Ich war immer noch müde und fertig, klar, allerdings die Sorge, dass die Beine unter mir wegknicken würden, war unbegründet. Es war, als würde ich mit jedem Meter Tiefe und Luft erneut Kraft zurückgewinnen. So hielt sich das alles relativ lange auf einem moderaten Level. Erstaunlich!  

Ich setzte mich zwar auch auf diesem Weg mal auf einen Stein, stellte aber nach den ersten zwei, drei Malen fest: Ausruhen brachte nichts. Jetzt war keine Verschnaufspause mehr nötig – mein Problem beim Abstieg waren nunmehr die schmerzenden Füße und die ließen sich nicht so einfach mit ein paar Minuten hinsetzen abspeisen. Tja, schade! Also lief ich durch: Schritt um Schritt um Schritt. Es ging natürlich viel schneller voran: Statt Minitritten beim Aufstieg, war mein Gang nun relativ lang. Ich konnte es ja auch kaum erwarten, wieder im Van zu sitzen.

Denn irgendwann, da hatte ich echt keinen Bock mehr. Vor allem zum Schluss, wo wir keine spürbaren Höhenmeter mehr dazu gewannen und so auch nicht von einem Mehranteil an Luft gepumpt wurden, drehten sich meine Gedanken nur noch um das Auauau meiner schmerzenden Füße. Es war ein schwacher Trost, dass sich auch meine Begleiter beklagten, aber hey, immerhin litten wir alle. Doch dann war er da. Der Ausgangspunkt – und die Schlange vor den Toiletten. (2 Kabinen für alle Wanderer – have fun.) Danach mussten wir erstmal unseren Van suchen gehen und ebenso warten, bis alle wieder an Board waren. Diesmal konnte ich es kaum erwarten, wieder zurück in Huaraz zu sein. Ich war erledigt, fühlte mich super eklig und durchgeschwitzt, war aber auch unglaublich erleichtert, ansonsten wohlauf zu sein. 

Übrigens: Im Van noch hatte ein Mädchen erzählt, sie sei irgendwann umgekehrt und nicht bis zur Lagune gewandert. Ihr Herz hat irgendwann so sehr geschlagen, dass sie für sich einen Schlussstrich gezogen hat und stattdessen genossen, was sie bis dahin erreicht und welche Aussichten sie dennoch erblicken konnte. Das sie das erzählt hat, fand ich sehr angenehm.

Fazit

Angesetzt waren 3-4 Stunden hoch und 2 Stunden runter. Ich hatte 4,5 Stunden hoch und 2,5 Stunden runter gebraucht. Dadurch blieb mir entsprechend auch nur eine Stunde am Gipfel.

Und jetzt die alles entscheidende Frage:

 

War es das wert?

 

Ich fange anders an: Der Wanderweg wird durchaus mittel - schwer eingestuft. Dennoch sah ich Menschen in Turnschuhen und Sneakers hochlaufen, mit normalen Klamotten, Jeans und Handtasche. Kann man machen. Geht aber bestimmt nicht besonders gut. Auf der anderen Seite gab es dann natürlich auch die Vollprofis mit Ausrüstung bis zu Trekking-Steckern. Ich habe mich entschlossen wandern zu wollen – trotz der Höhe – eben weil ich so viel davon gehört hatte und es so viele Leute machten – und auch schafften. Damit war es doch sicherlich auch für Normalos geeignet, oder? Das Bild der anderen Menschen auf diesem Weg bestätigte mir, dass ich nicht die Einzige bin, die sich das so überlegt hatte.

Zahlreiche Blogartikel berichten über die Schönheit der Umgebung, die unfassbaren Panoramen und davon, dass all die Anstrengungen vergessen seien, sobald man die Lagune erblicke.

 

Ja, der Anblick entschädigt vieles. Er schenkt einem neue Energie. Und man kann verdammt stolz auf sich sein.

Nein, es macht nicht alles wett. Das so auszudrücken, ist einfach nicht richtig.

Als ich oben angekommen bin, war ich so fertig, dass ich das Bild vor mir nicht mal richtig genießen konnte. Körper und Geist waren so von Erschöpfung gezeichnet, dass gar kein Platz mehr war, um noch etwas aufzunehmen. Mein Gott, auf fast allen Handybildern ist irgendwo mein Finger mit drauf, weil ich nicht mehr in der Lage war, das Gerät richtig zu bedienen.

 

Auf die Frage, ob das Ziel die Anstrengungen wert war, gibt es keine eindeutige Antwort. Denn: Im Nachhinein ist alles immer nur halb so schlimm. Währenddessen habe ich mich verflucht. Doch bereits am nächsten Tag ist das Leid schon wieder ganz vergessen und was bleibt ist ein: Ich habe es geschafft! Ja, nice. Wem will ich etwas beweisen?

Rückblickend betrachtet bin ich durchaus froh – und stolz! - das Ziel erreicht zu haben. Es ist nicht der Anblick der Lagune gewesen, der es wert war, jedoch die Erfahrungen, die ich auf dem Aufstieg machen konnte.

 

Übrigens: einen Monat später traf ich auf einen Belgier, der die Lagune in guten 2 Stunden erreicht hatte und damit als Zweiter oben angekommen ist. Wer ausdauernd ist, für den ist diese Wanderung also perfekt!

Es ist wunderschön, fantastisch, atemberaubend. Aber es bringt einen auch an seine Grenzen. Deswegen auf jeden Fall ohne Ausnahme: seid akklimatisiert! Die Höhe ist kein Kinderspiel, sie kann gefährlich werden. Wer das überlegt angeht, fit ist und weiß worauf er sich beim Wandern einlässt: Go for it! Wer noch nie wandern war und sich eher als Couchkartoffel bezeichnet, dem sei gesagt: Es gibt noch zahlreiche andere schöne Seen rund um Huaraz zu entdecken! Wie zum Beispiel Parón weiter nördlich oder die Doppelseen Llanganuco, die viel tiefer liegen. Es muss nicht unbedingt die Laguna69 sein – entscheidet für euch, was es sein soll und was nicht und lasst euch nicht von einem “Must-See!” beeinflussen. So fantastisch diese Lagune auch sein mag, eines kann ich sagen: Man muss sie nicht sehen. Nichts muss man.

Ich gehe also mit sehr gemischten Gefühlen aus diesem Artikel :-) Diese Wanderung hat mir auf jeden Fall viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Über eure Meinung hierzu würde ich mich sehr in den Kommentaren freuen!


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Kommentare: 1
  • #1

    Mamitschka (Sonntag, 06 Oktober 2019 20:02)

    Es ist so toll, wie du das Alles erlebst und beschreibst ....und die unglaublich sensationälen Bilder!!! Auch wenn ich Dich unglaublich vermisse ....ich bin extrem stolz auf Dich! Ich lieb Dich. M.