· 

Ich bin kein Veganer

Bevor jetzt alle eine Sinnkrise bekommen, weil ich es wage über Ernährung zu schreiben - die ja generell als heilig gilt - aufgepasst: 

Es handelt sich weder um eine Lehre noch eine Hassrede, sondern ganz einfach um meine persönlichen Beobachtungen und Gedanken zu dem Thema, u.a. mit Bezug auf meinen Umzug nach Lima. Also - bereit?


 

Wie die meisten unter uns, habe ich das Essen auf meinem Teller nie groß hinterfragt. Wir wachsen mit dem auf, was uns vorgesetzt wird, oftmals wird erstmal viel von den Eltern übernommen. Das ganze Umfeld isst relativ ähnlich, der eine mag das weniger, der andere das mehr und das war's dann. Wir leben alle noch und sind gesund. Warum sich also über Ernährung Gedanken machen?

 

Macht sowas überhaupt satt?

 

 

Dann gab es sie natürlich, ganz vereinzelt, selten wie eine Sternschnuppe am Horizont: Die Vegetarier und Veganer unter uns.


 

 

Ehrlich gesagt hat nie jemand von diesen "Salatblattessern" mich je belehren wollen. Sie waren friedlich und fragte man sie nach dem Grund für ihr eigentümliches Verhalten, war die Antwort in der Regel Tierliebe.

Tierliebe, dachte ich. Gute Sache. Aber ändern wird sich deswegen auch nichts. Außerdem ist das doch der natürliche Kreislauf des Lebens, der Stärkere frisst den Schwächeren und der Löwe das Lamm. Ganz normal, ganz natürlich. Sowas in die Richtung schwirrte mir damals durch den Kopf und damit war die Sache für mich erledigt. Veggies haben mir nicht reingeredet, ich habe Veggies nicht reingeredet, wir lebten alle friedlich koexistent.

Nur ist "normal" auch das, was wir daraus machen. Einst galt die Ansicht einer flachen Erde als die Norm, heute ist das Internet das Normalste auf der Welt - vor nicht allzulanger Zeit jedoch undenkbar gewesen!

 

"Normal" bedeutet weder richtig noch falsch, sondern zeigt einzig und allein das Verständnis unseres Kosmos auf.

Isst du "normal"?


Erst 2018 hinterfragte ich meine omnivore Ernährungsweise erstmals. Ziel: Ich wollte einfach mal "ein bisschen weniger" Fleisch essen. Aber wir aßen ja bei uns in der Familie eh nicht mehr so viel. Aber was heißt "viel" überhaupt?

Gewohnheiten ändern ist bekanntlich stets eine Herausforderung, ganz egal worum es geht.

 

Tja und dann - dann bin ich ausgewandert. Damit einhergehend hatte ich beschlossen, selbst für mich vorzukochen und nur am Wochenende auswärts zu Essen.

Also kochte ich nie mit Fisch. Fisch in der Mikrowelle aufgewärmt für den nächsten oder übernächsten Tag? No go. Bah.

Auch mit Fleisch kochte ich nicht, um meinem Ziel auch mal näher zu kommen. (Außerdem hatte ich Respekt davor.)

Komplett "Nein" sagte ich daher aber noch lange nicht. Immerhin war Peru bekannt für seine kulinarischen Spezialitäten und ich wollte mich selbstverständlich durchkosten! Der Favorit in Peru ist definitiv Hühnchen, aber auch Lomo Saltado (Lende, idR aus Rind), Anticucho (Innereien) oder Ceviche (roher Fisch) sind Traditionsgerichte schlechthin. Zu meinem Einstieg in die Firma sind wir gemeinsam Essen gegangen und haben uns erstmal zwei riesige Fleischplatten geteilt.

Während ich also anfing mir das Kochen beizubringen und somit meist Reis und Nudeln mit Gemüse mit an den Mittagstisch nahm, war ich natürlich neugierig was meine Kollegen so mitbrachten.

Reis und Fleisch war grundsätzlich immer mit dabei. Mal mit Nudeln, mal mit Kartoffeln, vielleicht auch mal mit einem Salat, aber weder Reis noch Fleisch durfte fehlen. Ausgeschlossen. Und das täglich! Ich war durchaus ein bisschen schockiert. (Das kann doch nicht gesund sein - oder?)

 

Doch dann blickte ich zurück.

Ich dachte  von den 2-4x Fleisch & Fisch in der Woche, hätte ich auf 1x pro Woche reduziert.

Aber das stimmte überhaupt nicht.

In Deutschland hatte auch ich täglich Tier verzehrt, es war nur oft so unsichtbar, dass ich es gar nicht richtig gesehen hatte.

 

Na klar: Hühnerbrust, Schweinefilet, Lachs vom Feinsten. Das ist offensichtlich. Aber die Spaghetti Bolognese? Ach, das war doch ein Nudelgericht! Wo ist da Fleisch? Ja wohl nur die Soße. Das bisschen Hack, zählt das überhaupt? 

In die Pilzsoße kam der Speck mit rein, Tagliatelle Emiliana per se nur mit Schinken, Bohnen gab es nur in Chili con carne und von der täglichen Wurstsemmel unter der Woche will ich gar nicht erst anfangen. Uff. Und ich dachte von mir selbst "so viel Fleisch esse ich doch gar nicht mehr."

 

Findest du, du isst viel oder wenig  Tier?

Oder ist dir das vielleicht auch gar nicht wichtig?

 

So kann einen die Selbstwahrnehmung täuschen. Ich habe das nicht wahrgenommen und ich glaube, dass die eigene Blindheit eine weit verbreitete Schwäche ist.


 

Daraufhin notierte ich mir spaßeshalber, wie viel Fleisch, Wurst, Fisch ich eigentlich tatsächlich so esse. Einfach, weil es mich interessierte. Ich war noch nicht bereit die Reißleine zu ziehen und mich mit einer Begrifflichkeit wie "Vegetarier" oder "Veganer" in eine Schublade stecken zu lassen.

Dennoch bemerkte ich, dass ich diese Bezeichnung durchaus schon manches mal verwendete. Wenn ich im Restaurant war und mir etwas fleischloses bestellen wollte, war die Formulierung schlichtweg einfacher.

 

Bei der Frage: "habt ihr was ohne Fleisch?",

drehen dir die Peruaner nämlich Hühnchen¹ an.

 

Nur wenige Restaurants haben etwas Vegetarisches im Angebot (von vegan will ich gar nicht erst anfangen), aber in den meisten Fällen schaffen sie es dann doch, besagtes Tier auf Anfrage einfach weg zu lassen.

Generell gilt: je touristischer, desto einfacher wird es.

Interessant wurde es in Cusco, denn hier sind Gerichte wie Meerschweinchen und Alpaka eine feine Speise. Ersteres hatte ich schon einmal probiert, doch das mit dem Alpaka hatte ich mir noch auf die Fahne geschrieben - denn ich war neugierig! Und immerhin war ich ja kein Vegetarier. Wie würde das wohl schmecken? Doch als ich im Oktober dort war, vier Tage lang, verspürte ich kein einziges Mal Appetit darauf.

Klar, in der Höhe soll man sowieso darauf verzichten², zumindest, sofern man noch nicht akklimatisiert ist. Chance verpasst? Vielleicht das nächste Mal, denn eine Rückkehr stand außer Frage. Und jetzt? Jetzt verspüre ich nicht mal mehr das Verlangen danach. Seltsam, oder? ³ 

Würdest du Gerichte wie Cuy (Meerschweinchen), Alpaka oder Hund probieren?

Die Antwort auf die Frage sagt viel über unser Weltbild aus.


Ich bin schlichtweg fasziniert, wie sich mein Gedanke von

 

"Karnivismus ist normal,  es gehört dazu,

denn das ist der Lauf des Lebens"

zu

"Ich möchte nicht, denn das Verlangen ist nicht da."

 

gewandelt hat und ich stecke noch mitten im Wandlungsprozess. Für mich fühlt sich eine vegetarische Ernährungsweise nicht als Verzicht an, sondern viel mehr als Bereicherung. Klingt paradox? Aber das ist es tatsächlich. Weil ich neugierig bin, auf neue Rezepte, auf Nahrungsmittel, die bei mir bisher keine Verwendung fanden. Es gibt so viel auszuprobieren!

 

Mein Interesse ist geweckt: Was steckt wo drin, was braucht der Körper, wie viel von welchem ist gesund, wie esse ich ausgewogen? Egal was du isst - sich diese Fragen zu stellen ist in keiner Weise verkehrt. Immerhin ist Essen ein zentraler Bestandteil unseres Lebens - um überhaupt zu leben, aber auch kulturell - und dennoch hinterfragen wir unsere Ernährungsweise zu selten. Also: Warum isst du, was du isst?


Fußnoten mit Ergänzungen:

¹ Hühnchen ist kein Fleisch

Das spanische Wort "carne" oder auch "bistec" heißt übersetzt "Fleisch"

Dann gibt es hier natürlich Hühnchen (pollo), Ente (pato), Pute (pavo), Schwein (chancho) und so weiter.

Da die Peruaner jedoch so viel Hühnchen essen, stellt sich in der Regel nur die Frage ob  pollo oder  carne.  Also Huhn oder anderweitiges Fleisch, was schonmal zu Verwirrung führen kann.

Daher drehen sie dir Hühnchen an, wenn du sagst, du willst kein Fleisch.

 

An Alle  die den Film Scott Pilgrim gesehen haben, hier das passende Zitat zur Situation: "Hühnchen ist nicht vegan?"  ;-)

Außerdem: Wusstest du, dass es im Spanischen 2 Wörter für den Fisch gibt? "Pez" für den lebenden Fisch im Wasser und "Pescado" für den toten Fisch auf deinem Teller!

 

² Höhe

Wer in die Anden reist, dem wird der Begriff Höhenkrankheit schonmal untergekommen sein.

Es gibt einige Tipps um es dem Körper nicht schwerer zu  machen, als es eh schon ist und einer davon ist nur leichte Kost zu sich zu nehmen. 

Bei Fleisch geht zu viel Energie für die Verdauung verloren, daher wird einem an dieser Stelle davon abgeraten.

 

³ Meine Theorie? Das Mikrobiom! Hier geht's zu einem kurzen Erklärvideo auf Youtube :-)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0