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Erntehelfer gesucht – wie ist das Arbeiten auf dem Feld?

Erntehelfer gesucht. Schlagzeilen über fehlende Arbeitskräfte dank Corona häufen sich. 40.000 Leute fehlen – üblicherweise kommen sie aus dem Ausland. Doch jetzt wo die Grenzen dicht und Quarantäne verlangt wird, entwickelt sich das zu einem Problem.

Was steckt da alles dahinter? Ehrlich gesagt, ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht. Läuft nicht längst alles automatisiert? Mitnichten. Spargel, Gurken und Hopfen sind nur einige Beispiele, in der noch immer menschliches Fingerspitzengefühl verlangt wird. Also habe ich mir das einmal genauer angesehen.

Das-Land-Hilft ist eine Internetseite, die zum Zweck der Suche nach Hilfskräften 2020 aufgeschaltet wurde. „Bis vor 4 Wochen vor Beginn habe ich noch nicht gewusst, ob wir für dieses Jahr Leute finden.“, sagt der Hopfenbauer, den ich kontaktiert habe.

Das ist das erste Mal seit wohl 30 Jahren, dass er wieder mit Deutschen zusammenarbeitet. Ansonsten hat er nur Polen – die organisieren sich selbst, anders funktioniert es nicht. Er hat sich da einmal eingemischt, dass ging untereinander nicht gut. Einige kommen jedes Jahr wieder, viele sind jedoch neu. Die Polen nehmen sich für diese Arbeit in der Regel Urlaub. Das Problem dieses Jahr zusätzlich: neben den 2 Wochen Urlaub für die Tätigkeit, müssen sie auch 2 Wochen zusätzlich frei nehmen für Quarantäne nach Rückkehr in ihr Heimatland. Da stellt sich gerne der Arbeitgeber quer, denn 4 Wochen am Stück ist nicht der Standard.

 

Hopfen – was muss man da eigentlich machen?

Es hört sich einfach an: Eine Pflanze, zwei Drähte. Drei möglichst gleich lange Hopfen in der Mitte sollen an einen Draht – im Uhrzeigersinn wird hoch gedreht. Eine Reservepflanze bleibt, der Rest wird herausgerissen. Gleich lang daher, weil die längeren Stränge sonst zu viel Schatten für die unteren werfen.

 

Ausgestattet werden wir mit ein paar Handschuhen, einem Sitzpolster und einem Messer. Dann geht’s los. Pflanze um Pflanze, Hopfen um Hopfen. 120.000 Stöcke besitzt der Bauer insgesamt, verteilt auf 30 Hektar. Damit liegt er weit über den Durchschnitt, der in Deutschland mit 17 Hektar Hopfen berechnet wird. Außerdem gibt es verschiedene Sorten: Select, Traditional, Hercules – um nur einige zu nennen. Nur eine der Fakten, über die ich mir vorher nie einen Gedanken gemacht habe!

 

Es klingt eintönig – aber das ist es überraschend wenig. Hopfen kann überraschend vielseitig sein. Mal ärgere ich mich, weil alle noch viel zu kurz zum andrehen sind – wachs doch mal! - mal muss ich mich durch einen halben Urwald mit der Machete, äh, dem Messer durchkämpfen um überhaupt an einen guten Strang zu kommen. Mal hat sich der Hopfen schon von selbst angedreht – sehr angenehm – nur um festzustellen, wie blöd er da gerade eigentlich gewachsen ist – weniger angenehm. Besonders ärgerlich: Die perfekten 3 sind endlich gefunden und dann bricht einer von ihnen beim Andrehen ab. Wenn das ein paar Mal hintereinander passiert, hätte ich die ganze Pflanze am liebsten niedergemäht!

 

Abgesehen davon ist die Arbeit unfassbar friedlich und entspannend. Morgens ist es kalt, ich genieße die Ruhe, die Natur um mich herum, höre bei Sonnenschein die Vögel, bei Regen die Krähen über uns Kreisen. Es lässt sich unterhalten, doch zumeist schweigen wir. Musik, Podcasts und Hörbücher nebenbei zu hören ist super!

vorher - nachher - ein ganzes Feld lang, einfach immer weiter!

 

Angebrachte Kleidung?

Hier eine kleine, erprobte Empfehlung:

Lange Klamotten! Als Schutz vor Erde und Sonne. Am Nachmittag wird es auch im April schon brütend heiß, entweder also ihr schmiert euch regelmäßig mit Sonnencreme ein oder ihr tragt dennoch lange Kleidung. Diese hat des Weiteren den Vorteil, dass eure Unterarme vor Kratzern geschützt sind! (Glaubt mir, am ersten Tag haben die ordentlich gebrannt und es sah aus wie ein Ausschlag). Armstulpen sind, sofern vorhanden, perfekt dafür. Vom Sonnenhut ganz zu Schweigen! Von Bequem muss ich wohl nicht erst anfangen, oder?

 

Regenkleidung wurde uns gestellt. Ein Paar Gummistiefel sind dabei jedoch unabdinglich, abgesehen davon das es auf Dauer sehr kalt draußen wird und das Doppelte an Schichten bei Regen ein Minimum war.

 

Der Verlauf der Woche

Am ersten Tag waren wir alle langsam. Am zweiten Tag hatte ich beim Aufstehen einen derartigen Muskelkater vor allem in den Oberschenkeln, dass ich nicht viel schneller dran war als am Tag davor :'D. Das macht das ständige vom Boden aufstehen und wieder hinsetzen und ist ein ganz fantastisches Workout!

 

Nachdem der Muskelkater versorgt war, ging es körperlich erstaunlich gut. Es gab aber auch die tiefen Tage, einmal war ich so müde, es hat nicht viel gefehlt und ich wäre vor dem Hopfen eingeschlafen. Rückenschmerzen waren gegen Ende hin deutlich spürbar und sehr schmerzhaft, da gibt es nichts zu sagen. Knie leiden auch, zumal ich nur ungern auf den Knien gearbeitet habe – aber man ist so tatsächlich schneller und flexibler. Bei hochgewachsenen Hopfen ging es nicht anders.

 

Am Anfang war das Wetter ein Traum und es war wahnsinnig schön draußen zu arbeiten! Wir spürten aber wie trocken die Erde war und wie nötig sie mal wieder Wasser hätte. Das kam auch. Leider. Ich liebe Regen, aber dabei draußen zu arbeiten war furchtbar. Nass, kalt, ungemütlich, fürchterlich – und mit den Gummihandschuhen ließ sich der Hopfen auch schlechter drehen. Kurz gesagt: Es war eine einzige Schlammschlacht!

 

Wie lief der Tag so ab?

Morgens um 07:30 Uhr aufs Feld gefahren. Der kleine Hunger meldete sich bei mir meist zwischen 10 und 11 Uhr – dafür hatte ich Müsliriegel im Schlepptau, denn hungrig dreh ich nicht mehr viel. Punkt 12 Uhr gab es ein ordentliches Mittagessen. Nach einer Stunde weiter, bis um 5 Uhr. Bierpause, nochmal mit Brotzeit. Dann wird durchgezogen bis 19:30 Uhr.

 

Mehr als zwei Wochen. Ohne Pause. Ich hab mir trotzdem zwischendrin einen freien Tag gewünscht – musste sein. War auch kein Problem.

 

Der Tag ist lang, aber das ist okay – gemacht habe ich danach jedoch nichts mehr. Es blieb alles auf der Strecke, dafür muss man jedoch sagen: Das ist kein Dauerzustand, sondern ja abzusehen.

 

Der Unterschied zum Büro

Gerade am Anfang dachte ich mir, nach 9 Stunden im Büro bin ich kaputter, müder, erschöpfter als nach 12 Stunden auf dem Feld. Krass, oder? Gegen Ende hin zusammen mit dem Regen, verließ mich die Motivation jedoch und so ein Büro kam mir plötzlich ganz gemütlich vor.

 

Ein weiterer Unterschied wurde deutlich. Im Büro sind Kaffeepausen, Toilettengänge, eine rauchen und mal schnell was zu trinken holen, überhaupt kein Ding. Auch ist für eine Einzelperson die Leistung anderer oft nur schwer einzusehen.

 

Auf dem Feld siehst du zu jederzeit dein Level – was dich auch beeinflusst. War ich weiter hinten, habe ich mich abgehetzt um irgendwie aufzuholen. Lag ich gut mit den anderen mit oder sogar weiter vorne, habe ich in meinem eigenen, angenehmen Tempo einfach weitergemacht.

 

Toilettengänge: Bevor unser Traktor-Dixi-Klo kam, mussten wir uns erstmal in den Wald verkriechen – da läufst du. Alleine Wasser holen! Wenn die Trinkflasche 100 m zurück vergessen lag, habe ich mir immer fünf mal überlegt ob ich jetzt aufstehe und sie hole. Beide Punkte werfen einen zeitlich zurück und werden daher nur sehr wohlüberlegt angegangen. Mal schnell eine Verschnaufpause, mal kurz abschalten ist kaum drin.  

 

Fazit

Ich hab's geliebt. Ich hab's aber auch gehasst, als es ungemütlich wurde. „Schönwetter-Hopfendreher“ wie eine Kameradin sagte. Es ist toll so aktiv sein zu können, super sich draußen an der frischen Luft aufzuhalten, tut gut hart und körperlich zu arbeiten. Es ist eine überraschend angenehme Arbeit und ich habe es mir vorab viel schlimmer vorgestellt. Auf Dauer könnte ich es jedoch nicht.

 

Es ist jedoch auch anstrengend. Rücken und Knie werden strapaziert, die Arbeit zehrt an den Kraftreserven. Ich habe selten so viel gegessen, mein Körper hat einfach unfassbar viel mehr gebraucht. Und der Regen negiert all die Annehmlichkeiten auf Anhieb, nur um sie mit Schrecklichkeiten zu ersetzen. Auch: Die Tage sind lang, Zeit bleibt für sonst nichts mehr.

 

Ich hab unfassbar viel gelernt. Über Hopfen, Feldarbeit, einen Einblick was noch so hinter Landwirtschaft steht. Das mag seltsam klingen, aber wenn du den ganzen Tag in der Erde buckelst, spürst du plötzlich, was die Natur dir eigentlich alles gibt. Was die Erde dir schenkt. Das ist mir natürlich auch vorher klar gewesen, nur hat sich das Gefühl dafür intensiviert. Auch Dankbarkeit war ein Effekt aus diesem Gedanken.

 

Es war hart, ja, aber nicht unmöglich. Ich bin froh es gemacht zu haben und stolz auf meine Leistung. Gerne würde ich jeden dazu ermutigen, ein wenig aus der Komfortzone heraus zu treten, denn die Erfahrung und eine neue Perspektive sind die Strapazen mehr als wert.

 

Ach, übrigens noch ein Fun Fact zum Schluss:

Die Polen waren eine Gruppe junger Männer plus einer Frau. Die Deutschen waren eine Gruppe junger Frauen plus einen Mann. Was ihr mit dieser Info anfangt, bleibt ganz allein euch überlassen ;-)

 

 

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