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I AM

 

Ich bin nicht länger auf der Flucht. Ich bin lange gerannt. So ganz und gar auf einen Weg fokussiert, den ich nicht bewusst gewählt habe. Mich irgendwann in einem Wald völlig verlaufen, drehe hektisch den Kopf einmal nach links, einmal nach rechts, auf der Suche nach dem Pfad, der mich weiter vorantreiben würde. Dabei weiß ich noch nicht einmal wonach ich suchte. Wie war ich überhaupt hierher gekommen? Welche Abzweigung auf meiner Reise hat mich hierher geführt? Es ist nicht schlimm hier, aber ein wenig unheimlich ist mir doch. Sollte ich zurück gehen? Finde ich den Weg denn wieder? Ist das überhaupt möglich? Ich kann doch keine Schritte zurück nehmen, die bereits gegangen sind. Aber den Weg vielleicht... zurück, bis ich mich wieder auskenne, dann überlegen wohin ich stattdessen gehe. Am besten auf dem Weg schon darüber nachdenken. Es war ja auch ein langer Weg, oder? Abzweigungen sind mir so bewusst zwar nicht aufgefallen, aber das lag bestimmt nur daran, weil ich so schnell gelaufen bin. Ein wenig wie das Weiße Kaninchen in Alice in Wunderland.

 

Als ich hinter mich zurück blicke, schüttle ich jedoch nur den Kopf. Ich suche lieber eine andere Route, statt einen Teil dessen zurück zu gehen. Das Neue, nicht das Alte.

Aber... dazu müsste ich wissen, wohin ich will, oder?

Die Frage ist unbequem, also schiebe ich sie beiseite. Gehe einfach weiter, ohne zu lange zu verweilen, um mich nicht mit meiner Suche auseinandersetzen zu müssen. Ich finde einige Pfade, wähle den einfachsten, obwohl andere hübscher aussehen. Aber eine gemachte Strecke ist wirklich weniger anstrengend zu begehen, als wenn ich mich jetzt durch die Büsche kämpfe. Am Ende beißt mich nur eine Zecke.

Der Weg wird mir allerdings ein wenig unheimlich. Dann wird er schmaler und endet schließlich. Mitten im Nichts. Mitten im Wald. Die Sonne steht bereits tief, langsam wabert die Dunkelheit zwischen den hohen Bäumen hindurch. Panik steigt in mir auf. Ich weiß nicht was ich machen kann, ich weiß nicht wo ich hin soll, niemand ist hier. Allein.

Ich halte mir die Ohren zu und kauere mich neben dem Stamm einer großen Eiche. Die Beine angezogen, wippe ich auf und ab. Alles wird gut, alles wird gut, alles wird gut.

Ich habe Angst im Dunkeln. Ich traue mich nicht, mich zu bewegen, also bleibe ich einfach hier. Das ist das Sicherste, oder?

Alles wird gut.

Nichts wird gut.

Nichts

Nichts

Nichts

Die Tränen, die über meine Wange wandern, bemerke ich kaum. Erst als ich eine weg wische, somit die Hand von den Ohren nehme, höre ich ein leises Wispern. Argwöhnisch gleitet mein Blick in die Richtung des sanften Töne, doch ich sehe nichts als den Wald in seiner Nacht.

Es ist Nacht.

Ein Schauder läuft mir den Rücken hinunter. Ich muss etwas tun, bevor mich die Finsternis vollkommen einhüllt. Also stehe ich auf, schwerfällig, stolpere mehr in die Richtung, aus der ich das seltsame Raunen vernommen hatte. Vielleicht hatte ich es mir auch nur eingebildet. Immerhin, so schlimm war es unter der Eiche doch nicht gewesen. Oder? O-Oder?

Doch als ich so querfeldein durch den Wald ziehe, bemerke ich, wie sich die Bäume langsam lichten. Eine aufgehende Morgensonne blitzt mir entgegen und ich finde mich an einer Küste wieder. Der Anblick der glitzernden Wasseroberfläche, die Wellen die sanft gegen die Klippen schlugen, sie rauben mir förmlich den Atem. Erleichtert und froh setze ich mich an die Kante, den Moment genießend, doch genauso – gerade jetzt – fühle ich den Drang noch weiter zu gehen. Nach der finsteren Nacht fühlt es sich nun an, als könnte ich alles erreichen.

Also schlage ich einen neuen Weg ein. Gemütlich diesmal, nicht mehr rennend, abgehetzt. Lasse alles einfach auf mich zukommen.

Aber auch das hilft nicht immer. Manchmal landet man einfach in einer Sackgasse oder, wie in meinem Fall, eine gigantische Baustelle, die mich am Weiterkommen hindert. Ich seufze tief. Ich hoffe ich kann mir die Stelle merken, um ein anderes Mal hierher zurück zu kommen. Für jetzt hilft nur, ein Stück zurück zu gehen und einen Umweg einzuschlagen. Also doch mal ein wenig zurück. Na gut. So schlimm wie ich dachte, ist es nicht und ich erkenne, das auch alte Wege an neuen Tagen, anders wirken. Sich ein bisschen verändert haben.

Der Pfad, auf dem ich mich nun bewege, hat nichts vom Zauber des Meeres, aber auch nichts von der Düsterheit des Waldes. Auch hier umgeben mich Bäume. Ich befinde mich auf einer Allee, groß und breit, ein stetes, wiederkehrendes Muster innehaltend. Es ist ruhig und gemütlich hier und die Sonne, die durch die Baumkronen blitzt, veranlasst mich zu einem Lächeln.

 

 

Ich weiß noch immer nicht, wonach ich suche. Aber der Pfad vor mir ist angenehm und anstatt die Zeit mit Grübeln zu verschwenden, schaue ich mich um und genieße den Moment. Wohl wissend, dass eine andere Version von mir vielleicht noch verloren in der ewigen Nacht zwischen den Bäumen sitzt.

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