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Dream Seven - Feast of Friends

Als Cedric die Augen öffnete, blickte er auf einen Teller. Das Gericht auf dem Teller war wunderbar angerichtet. Eine Foie Gras au Torchon an Weinsauce mit getrockneten und frischen Feigen. Ihm drehte sich der Magen um. Essen würde er sicher nichts.

Unappetitliche Gedanken?, schoss ihm die Frage durch den Kopf. Da ertönte eine Stimme.

Du meidest Augenkontakt?“

Cedric sah von seinem Teller auf – und erstarrte. Er saß an einem langem Esstisch – ein Ausmaß, wie ihn nur eine Villa beherbergen konnte – und an der Spitze ihm gegenüber saß: er selbst. Nein. Es war sicher nicht Simon, das erkannte er an der Haltung und an dem Blick des anderen Gastes, doch auch wenn das Äußere betrügerisch gleich war, erkannte er nicht sich selbst darin.

 

Das kann ich verstehen.“, fuhr der Fremde fort, „Augen sind… verwirrend. Man sieht zu viel oder man sieht nicht genug.“ Er zuckte mit den Schultern, deutete dann auf ihn. „Siehst du hin?“

Wer bist du?“, fragte Cedric stattdessen, ohne auf dessen Worte einzugehen.

Der Fremde seufzte. Er schien kurz zu überlegen, ehe er leicht lächelte. Offenbar entschlossen, dass es keinen Sinn machte um den heißen Brei herumzureden.

Wen immer du sehen möchtest.“, erwiderte er rätselhaft und dann änderte sich etwas in seinem Gesicht. Dabei sah er nicht anders aus. Er fuhr sich durch die Haare, sein Lächeln war nun arroganter, die Haltung lässiger. Cedric’s Augen weiteten sich ein wenig vor Erstaunen. Jetzt sah dieser Mann seinem Zwilling ähnlich – war er es?

Simon nahm die Gabel und deutete damit auf ihn, während er sagte: „Die Spiegel in deinem Geist können das Beste deiner Selbst zeigen, nicht das Schlimmste eines anderen.“

Die Worte verwirrten ihn. So etwas hätte sein Zwilling nicht von sich gegeben – oder zumindest niemals so blumig formuliert. Was wollte der Fremde damit zum Ausdruck bringen? Er sah ihn erwartungsvoll an und Cedric presste die Lippen aufeinander. Was sollte er darauf erwidern?

Das glaube ich nicht.“, gab er schließlich etwas lahm zur Antwort. Noch immer traute er dem nicht. Simon hob die Augenbrauen. „Ach nein?“

Vermutlich zeigen sie viel eher das Schlimmste in einem selbst. Wenn man nur tief genug blickt.“

Simon – oder der Fremde mit dem Gesicht seines Bruders – sah ihn eine Weile lang stumm an, ehe er breit grinste und zu einem langsamen Klatschen ansetzte. „Oh ja, sehr gut! Sehr philosophisch, gefällt mir.“ Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Am Rande bemerkte Ced die edle Machart – die samtene Polsterung in rot und die feinen Verzierungen am Holz – ein langer Tisch, jedoch nur zwei Gäste.

Ich weiß wer ich bin.“, sagte Ced mit fester Stimme. Es war, als müsse er diese Gewissheit aussprechen, um sie wahr werden zu lassen. Simon hielt inne, musterte ihn verhalten.

Nun, das ist gut. Dann weißt du sicher auch, wer ich bin.“

Er war sich nicht sicher. Aber er wagte es auch nicht danach zu fragen. Ein Teil von ihm ahnte, dass er die Antwort darauf nicht hören wollte.

Ich habe da mal eine Frage, Cedric.“, begann Simon und stand schließlich auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, langsamen Schrittes auf ihn zukommend. Cedric sah nicht auf. Er fixierte seinen Blick stattdessen auf die unangerührte Mahlzeit vor ihm.

Fühlst du dich wirklich so schlecht, weil es sich so gut angefühlt hat, sie zu töten?“

Cedric riss den Kopf herum. Er wollte sich gegen diese Worte auflehnen, doch als er das Gesicht des Fremden nun sah, blieb ihm der Protest im Halse stecken.

Er hatte nun Ran’s Gesicht.

Sie lächelte – ein schwer zu deutendes Lächeln, während sie weiter auf ihn zu schritt.

Ich habe sie nicht getötet.“, erwiderte Cedric, „Ich habe dich nicht getötet.“

Du hast mich getötet.“, entgegnete sie leise. Sie stand nun vor ihm, während er noch saß – er konnte nicht aufstehen. Sein Körper gehorchte ihm nicht. Ran nahm seinen Kopf in ihre Hände, während sie über ihn hinweg sah. „In deinem Herzen hast du mich getötet.“

Der Fremde ließ von ihm ab und ging ein paar Schritte zurück, während Cedric noch auf die Stelle starrte, an der Ran gerade gestanden war. Sein Herz klopfte schnell. Es schien ein unheilvolles Gefühl von Gefahr zu verspüren.

Auch Gott muss es gefallen zu töten – er tut es ohne Unterlass. Und sind wir nicht alle nach seinem Bild erschaffen?“

Als Cedric den Kopf zu dem Fremden drehte, sah er die Gestalt von Rick. Er drehte den Kopf über die Schulter und grinste selbstbezogen. „Hypokritisch.“

Denkst du oft über das Töten nach?“, fragte Cedric den Anderen nun. Er wusste, dass es sich nicht wirklich um Rick handelte, daher stellte er die Frage auch. Ansonsten wäre das überflüssig gewesen.

Rick zuckte nur mit den Schultern. „Viel zu oft.“

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wach bin.“

Nun lachte die Gestalt. Dabei bekam sie die Züge von Nick. „Bist du nicht.“ Nick runzelte die Stirn, als würde ihm erst jetzt die Tragweite der Frage bewusst. „War dir das etwa nicht klar?“ Cedric wandte den Blick ab, da er nicht die Sorge in den Augen seines besten Freundes sehen wollte. Auch wenn er wusste, dass dies lediglich ein Gesicht war, nicht mehr.

Iss.“, forderte Nick. Cedric richtete den Blick erneut auf seinen Teller. Statt der Augenweide einer Köstlichkeit jedoch, sah er nun verdorbenes Essen, dass die Fliegen bereits heimsuchten. Ekelerregend. Als er den Kopf zu dem Fremden drehte – er vermutete nun, dass dieser in Wahrheit der Gastgeber war – hörte er zuerst, bevor er sah. Was er hörte, waren die melancholischen Klänge eines Klaviers, gespielt von Suiren, dessen Gesicht der Fremde sich nun angeeignet hatte. Es dauerte eine Weile, bevor er die Melodie erkannte. »A feast of friends.« ‚Denn der Tod macht uns alle zu Engeln und gibt uns Flügel, wo wir Schultern hatten, geschmeidig wie Rabenkrallen.‘ Ihm schauerte bei dieser Lyrik, die Stumm über den Klängen hing.

Lass mich gehen. Bitte.“

Suiren sah zu ihm, ohne das Spiel zu unterbrechen, doch nun hatte der Fremde wieder sein Gesicht – oder eben jenes, welches er zu Beginn getragen hatte.

Du bist frei zu gehen, wohin du willst.“, erwiderte er ausdruckslos, „Ich halte dich nicht fest.“

Ein Klirren ertönte, als Scheiben eingeschlagen wurden. Der Raum bekam eine ganz andere Dimension. Er war nun groß und weit und vor allem: hoch. Hoch, mit ebenso hohen Fenstern, durch die nun eine Schaar Raben hineingeflogen kam. Geschmeidig wie Rabenkrallen. Hatten sie das verdorbene Mahl erspäht? Es waren Aasfresser. Doch die Schaar der schwarzen Vögel interessierte sich nicht für das menschliche Essen. Sie kamen direkt auf ihn zu.

Wenn du gehen möchtest, solltest du dich jedoch beeilen.“, fügte der Fremde hinzu, noch immer am Klavier sitzend. Die Krähen beachteten ihn nicht. „Bevor der Raum in sich zusammen fällt.“

Cedric stürzte vom Stuhl, doch er war gelähmt vor Schreck um sein Schicksal. Der Fremde sah ihn bedauernd an, ehe sein Blick vor schwarzen Federn verdeckt wurde. Sie pickten auf ihm herum. Sie aßen ihn. Aasfresser. War er also womöglich längst tot?