Nach den Tagen in Puno und auf dem Titicacasee verbrachten Ruth und ich noch eine Nacht in Puno, ehe es für uns am nächsten Tag gegen Mittag weiter ging. Das Ziel? Ihre Verwandten besuchen. Wenn es ein Erlebnis gibt, welches mich in Südamerika wirklich berührt hat, neben dem Projekt in den Slums, waren es die Tage bei ihrer Familie.
Am Terminal Terrestre in Puno verkehren lediglich Verbindung innerhalb des Puno-Distrikts (ähnlich wie ein Landkreis). Die typischen kleinen Vans erwarten uns hier, zum Teil auch mit Schildern der Endhaltestelle. Wir steigen in Richtung Desaguadero zu und bitten den Fahrer uns bitte in Zepita, wenige Kilometer vorher, rauszuwerfen.
Dort angekommen, machen wir direkt die Nummer eines Taxis startklar, der mich in zwei Tagen bitte zur Grenze bringen soll (Spoiler alert: Es hat nicht funktioniert). Mit einem anderen Fahrer lassen wir uns dann von Zepita aus nach Jachapampa bringen – und Pampa steckt hier wirklich im Namen. Wenn Zepita schon ein Dorf ist, besteht das wenig davon weg gelegene Jachapampa nur aus wenigen Häusern die meilenweit auseinander stehen.
Ich wunderte mich ein wenig darüber, als Ruth meinte, sie müsse überlegen, da sie nicht mehr genau weiß wo ihre Verwandten wohnen. Als wir jedoch ankamen, verstand ich sie sofort: Alles sah gleich aus! Selbst bei einem kurzen Spaziergang fiel es mir schon schwer, die Höfe auseinander zu filtern.
Wir waren zusammen mit ihren Eltern bei Besuch bei ihrem Onkel und ihrer Tante, welche übrigens ebenfalls nur gebrochen Spanisch spricht. Aymaran ist ihre Muttersprache. Ihr Vater, der aus dieser Gegend stammt, spricht es noch, hat aber vieles verlernt und Ruth selbst als geborene Limeño spricht es gar nicht mehr.
Der Hof bestand aus etwa 5 Ein-Zimmer-Hütten, gebaut aus Lehm oder Ziegel sowie zwei offenen Ställe für Tiere. Ein richtiges Bad gibt es nicht, nur ein kleines Häuschen mit einer Toilette und einem Waschbecken, welches sogar fließend Wasser besitzt. Ansonsten gibt es an zwei Enden des Hofes jeweils einen Wasserhahn, mitten im Grün – das war's.
Wie soll ich die Hütten am besten beschreiben?
In einigen von ihnen roch es stark, was an den in Säcken gelagerten Lebensmitteln, wie den Chuños (getrocknete Kartoffeln), lag. Der Boden war ganz einfach die Erde zu unseren Füßen. Elektrisches Licht gab es, Strom zum Laden elektronischer Geräte jedoch nur in einer Hütte. Zumeist waren sie randvoll gestellt mit allerlei Sachen. Sie waren nicht schön, sie waren auf Praktik ausgelegt. Keine heimelige Atmosphäre, nichts was einem Wohlfühlfaktor auch nur gleich kommt.
Wir teilten uns ein Bett und bekamen ein halbes Dutzend dicker Decken zum warm halten. Als Kopfkissen dienten uns die üppigen Röcke ihrer Tante, welche wir einfach unter eine Decke gepackt haben. Ich schlief mit Thermounterwäsche samt langer Hose, Socken und dicken Sachen. Sicher, es war Sommer in Peru, doch wir sprechen von über 3000 Höhenmetern in der Regenzeit!
Man konnte die Uhr danach stellen, ab wann das Gewitter losbrechen würde. Tagsüber strahlender Sonnenschein, am Abend zog es zu, ehe die Wolkenbäche runterprasselten. Selten habe ich so oft, so viele Gewitter hintereinander gesehen. Es war mühselig, mussten wir doch so im Regen zwischen der Gemeinschaftshütte, unserer Schlafhütte und der Toilette umher huschen. Das Gewitter war auch unfassbar laut, so direkt über den eigenen Köpfen, denn zwischen der Lehmmauer und dem Blechdach war es nicht komplett dicht. In der zweiten Nacht bemerkte ich, das es auch ein wenig durchtropfte, doch ein wenig die Position verändert, hatte das Wasser gegen die dicken Deckenlagen keine Chance mehr zu mir durchzukommen.
Die Lebensgrundlage
Angebaut wurden Kartoffeln und Quinoa, wenngleich es mir ein Rätsel ist wie auf dieser riesigen Ebene mit all den verschiedenen Höfen, jemand durchblicken soll wem welches Land gehört. Hasen, Hühner und ein Truthahn liefen frei herum – Nahrung. Zwei Schweine sowie die Schafe waren stets angebunden. Eine Kuh hat kurz vor unserem Besuch zwei Zwillinge bekommen, die einfach unglaublich goldig waren. Außerdem trieben eine Katzenmama mit ihren Kleinen ihr Unwesen, die stets versucht haben selbst etwas zu Essen abzugreifen.
Zum Großteil also Selbstversorger, nur wenig wird verkauft. Die Küche bestand aus einem Gasherd, der auf dem Boden stand. Fische wurden selbst ausgenommen, Schweine eigenhändig geschlachtet und zerlegt. Reis und Kartoffeln oder Chuños war zumeist die Hauptgrundlage. Übrigens – Peruaner essen auch zum Frühstück bereits deftig! Ich war übrigens über alle Maßen dankbar für die Mühen einer vegetarischen Variante zu Fisch, Huhn und Schwein. Immerhin stellt die Familie auch Käse selbst her! Auch selbstgemachtes Brot wird in dem alten Steinofen draußen verwirklicht.
Für uns Besucher gab es nicht allzu viel zu tun. Das Wetter genießen, beisammen sitzen, spazieren gehen. Ich bin selten an einem Ort so sehr zur Ruhe gekommen.
Ja, bei Ankunft war ich erschrocken. 'Wo bin ich hier nur gelandet?'. Ich habe schon einige einfache Behausungen in Peru gesehen, doch in dem Fall war es anders. Weil es echt war, weil ich mir nichts im Rahmen einer tollen Tour oder sonst was angesehen habe, sondern einfach in einen Teil des Alltags blicken konnte.
3 Tage und 2 Nächte war ich zu Besuch und bin über alle Maßen dankbar für die Gastfreundschaft und die Gelegenheit zur Teilhabe in diesem Leben. Mehrere wichtige Lektionen konnte ich für mich mitnehmen. Erstens: die Anpassungsfähigkeit der Menschen ist phänomenal. Zweitens: Wir leben in Luxus und Überfluss und schätzen ihn zumeist nicht, weil er ganz einfach normal ist. Normalität ist jedoch immer subjektiv. Wenn verputzte Wände und ein fester Boden schon nicht gegeben sind, dann ist alles darüber hinaus mehr. Drittens: Eine Reise ist auch immer eine Zeitreise. Viertens: Leben ist wertvoll.
Für mich ist es unfassbar schwierig, die Auswirkungen dessen, was ich gesehen, gefühlt und erlebt habe in diesem Punkt in Worte zu fassen. Sicher, ich kann die Umstände schildern, die Gegebenheiten aneinander reihen, aber die Eindrücke waren so viel intensiver und schlagen so viel weitere Wellen in mir selbst. Ich hoffe trotzdem, einen groben Einblick in einen anderen Alltag geben zu können.
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